Die Schreibwerkstatt "Das Textprojekt" bietet in regelmäßigem Rhythmus neue Kurse an.
März-April: Kursabschnitt 1 / Mai-Juni: Kursabschnitt 2 / August - Oktober: Kursabschnitt 3
Oktober-Dezember: Kursabschnitt 1 / Januar-Februar: Kursabschnitt 2
Anmeldung unter: thomas.piesbergen (at) gmx.de


Samstag, 21. März 2015

1. 4. 2015 - Sylvia Schultes "Sonarlinien" Vernissage im Einstellungsraum

Aquarell, Installation, Video, Klang-Installation

Einführungsrede: Dr. Thomas Piesbergen



1.April 2015 - 19:00
Wandsbeker Chaussee 11
22089 Hamburg


Dienstag, 10. März 2015

Über Kunst, Demokratie und politische Verantwortung - Eine Rede zum Aktionstag des BBK Hamburg gegen die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA


Der Zustand unserer Welt, unseres gesellschaftlichen Systems, unserer Alltagswirklichkeit erscheint heute so disparat und unüberschaubar wie nie zuvor. Vielfach scheinen selbst Intellektuelle und Kulturschaffende sich aus dem gesellschaftspolitischen Getriebe mehr und mehr in ihre private Arbeitssphäre zurück zu ziehen, wohl auch getrieben von der Einsicht, dass sich die relevanten politischen Bewegungen nicht mehr auf der ereignisfixierten Theaterbühne der Tagespolitik abspielen und das Auf und Ab unserer Parteienlandschaft mehr und mehr einer Daily Soap ähnelt.

Denn es sind nicht die einzelnen Ereignisse, die unsere Demokratie formen, sondern vor allem die großen, darunter liegenden Bewegungen. Die wirkliche Bedeutung und die Mechanismen dieser Bewegungen werden in den herkömmlichen, ebenfalls ereignisfixierten Medien kaum thematisiert. Dennoch bestimmen sie schon jetzt unseren Alltag maßgeblich und werden es in zunehmendem Maße tun.

Es sind vor allem zwei gegenläufige Bewegungen, die derzeit miteinander um die Gestaltung unserer Zukunft konkurrieren:

Auf der einen Seite steht die immer dichter werdende mediale Vernetzung der Individuen, die in einem nie da gewesenen Umfang Informationsfluss und Selbstorganisation ermöglicht und uns Werkzeuge zu einer unmittelbaren, basisdemokratischen Intervention an die Hand gibt. Als Symptome dieser Entwicklung seien NGOs wie Campact, Attac, Foodwatch oder One.org genannt, die mit einer Flut von Kampagnen und Petitionen sonst kaum wahrgenommene Vorgänge transparent machen und die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik wieder an die Interessen der Allgemeinheit gemahnen, oder Aktionsformen wie Flashmobs, die ohne digitale Netzwerke kaum zu koordinieren wären.
Auch in der zunehmenden Zahl von Volksbegehren und - entscheiden, kann  ein deutlicher Ausdruck des Unmuts über die schwerfällige und selbstgenügsame Parteiendemokratie gesehen werden. Ein wichtiger Punkt bei der Entwicklung basisdemokratischer Strukturen besteht jedoch darin, nicht nur Haltung zeigen zu können, sondern auch eine Haltung zu haben, die viel differenzierter sein kann und sein sollte, als das, was die Parteien-Demokratie heute zulässt - denn das ist meist nur die Wahl des geringsten Übels.

Dem gegenüber steht die Tendenz einer stetigen Kulminierung von Macht, Kapital und Kontrolle. Auffällig ist, dass gerade die Kräfte, die in erster Linie die Begriffe von Demokratie, Freiheit und Liberalisierung im Munde führen, die ersten sind, die peinlich darauf bedacht sind, ihre eigenen Aktivitäten verborgen zu halten und den freien Informationsfluß unter ihre Kontrolle zu bringen.
Andererseits werden Begriffe wie Freiheit und Liberalismus dazu angewandt, um das Gemeinnützige gegen das Eigennützige auszuspielen und gesellschaftliche Vorgänge zu deregulieren, Die Spielregeln, die sich Gemeinschaften gegeben haben, um ein zuträgliches Zusammenleben zu ermöglichen, werden abgeschafft. Sie sollen den unkontrollierten Mechanismen des Marktes als einzigem Ordnungsprinzip weichen. Die größte Kapitalmasse soll fortan bestimmen, in welche Richtung marschiert wird. Dem jeweiligen Gemeinwesen soll das Recht abgesprochen werden, über sich selbst zu bestimmen; die staatliche Souveränität soll unterminiert werden und die Gestaltung der Gesetzgebung zukünftig mehr und mehr in die Hände der Wirtschaftskonzerne gelegt werden. Auf nationaler Ebene ist hier die Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft federführend, auf internationaler Ebene zählen vor allem CETA ,TTIP und TISA zu den aktuellen Schlachtplänen, die diese unkontrollierte Herrschaft des Kapitals ermöglichen und unumkehrbar machen sollen.

Kehren wir aber zurück zum Gemeinwesen, der Grundidee des demokratischen Staates und dem schönen Bild des Rousseau´schen Gesellschaftsvertrages: Eine große, in der Regel territorial definierte Gruppe von Menschen einigt sich darauf, eine Gemeinschaft zu bilden und sich Regeln für ihr Zusammenleben zu geben. Doch worauf basieren diese Regeln? Auf Vorstellungen von dem, was der Mensch sei. Aus diesem Grunde lautet auch der erste Satz des ersten Artikels des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Jedes Menschenbild ist unabdingbar verbunden mit einem moralischen System, mit einer Vorstellung von dem, was dem Individuum und dem Gemeinwesen zuträglich oder schädlich sei. Unter diesem Gesichtspunkt zeichnet sich eine Gemeinschaft vor allem dadurch aus, dass sie Verantwortung für ihre Mitglieder übernimmt; Gemeinschaften sind im Wesenskern moralisch und deshalb solidarisch.

Und das Kapital? Dazu ein kleines Zitat von Joseph Conrad aus dem Roman Nostromo von 1904: "Es gibt keinen Frieden und keine Ruhe bei der Entfaltung materieller Interessen. Sie haben ihre eigenen Gesetze und ihre eigene Gerechtigkeit. Aber sie gründen auf Nützlichkeit und sind inhuman; sie sind ohne Aufrichtigkeit, ihnen fehlt die Beständigkeit und die Kraft, die nur im moralischen Prinzip zu finden sind."
Sind die Staaten und Gemeinwesen erst vollständig dereguliert, wird ihre Aufgabe darauf reduziert sein, eine effiziente Infrastruktur für den Warenfluss zur Verfügung zu stellen und Armeen zur Verteidigung privater Ressourcen zu finanzieren, anstatt den Zugang zu Bildung, Kultur sowie geistiger und körperlicher Gesundheit zu gewährleisten. Denn die spielen für die Entfaltung materieller Interessen nur insofern eine Rolle, inwieweit mit ihnen Geld zu verdienen ist.

Wie steht es nun um die Kunst in diesem Spannungsfeld zwischen individualisierter Gestaltungsmöglichkeit in basisdemokratischen Kontexten, dem kategorischen Imperativ des „Think globally, act locally“ und der von Wirtschaft und Lobbyisten angestrebten Oligarchie, der Herrschaft der Konzerne, der neoliberalen Scheindemokratie und Entmündigung, auf die wir uns zu bewegen?

Zum einen ist ein großer Teil der Kulturschaffenden, zumal die Bildenden Künstler, durch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte erfolgreich in prekäre Lebenssituationen gedrängt worden, die ihnen so gut wie keinen Handlungsspielraum lassen. Sie sind gezwungen, in stupiden „Brotjobs“ zu arbeiten, man drängt sie in Umschulungsmaßnahmen etc. Die künstlerische Produktion belegt notgedrungen das Übrige der Zeit, in dem gesellschaftliches Engagement hätte stattfinden können.

Zum anderen scheint „politische“ Kunst in Verruf gekommen zu sein. Ihr haftet offenbar das Makel des Über-Engagements an, der Geruch naiver Weltverbesserei, die veraltet erscheinenden Konzepte des politischen Aktivismus der 60er und 70er Jahre, und schließlich die Vorstellung künstlerischer Positionen, die sich durch ihre belehrende Haltung und aufdringlichen Inhalte selbst disqualifizieren. Inzwischen scheint an manchen Hochschulen eine Haltung vorzuherrschen, die die inhaltliche Ebene nicht nur zugunsten der ästhetisch-formalen Aspekte in den Hintergrund drängt, sondern sie sogar vollkommen negiert, und damit auch ganze gesellschaftlich relevante Themenkomplexe aus dem Kanon der zeitgenössischen Kunst auszuschließen versucht; eine Haltung, die L´art pour l´art ohne Bezug zum gesellschaftlichen Status Quo propagiert.

Hier stellte sich die Frage: Was tut ein Künstler denn sonst, wenn nicht dem Status Quo auf eine Weise entgegen zu treten, die den Status Quo hinterfragt, ihn konterkariert, ihn aufbricht? Denn selbst wenn ein Werk kein klar artikuliertes inhaltliches Anliegen zum Ausdruck bringen, sondern lediglich eine Irritation hervorrufen und die Wahrnehmungsgewohnheiten des Betrachters aufbrechen soll, ist das mit der Intention des Künstler verbunden, in einem Sinne auf den Betrachter einzuwirken, die der Künstler als eine Verbesserung des Status Quo begreift, also ein Stück „Weltverbesserung“. Kunst ist Kommunikation. Kommunikation setzt die Intention voraus, auf eine Gemeinschaft einzuwirken, und schafft wiederum Gemeinschaft. Kunst ist eine „Strukturierende Struktur“. 
Ich habe in den letzten Jahren mit zahlreichen Künstlern zusammengearbeitet, die in diesem Sinne politisch hochbrisante Positionen vertraten, selbst wenn sie nie von sich behauptet hätten, sie wären politische Künstler. Intuitiv aber handelten sie aus einem tiefen Unbehagen heraus und entwickelten daraus kraftvolle und formal-ästhetisch überzeugende Positionen, die im Sinne Marschall McLuhans auf den Status Quo der Rezeption einwirken und so ihre „Botschaft“ vermitteln und „Bedeutung“ generieren.

Es gibt in unserer Gesellschaft kaum eine Sphäre, der so große Freiheit eingeräumt wird, wie der Kunst, denn sie ist essentiell notwendig, um Wahrnehmungsroutinen zu überprüfen und aufzubrechen - und das auf eine so vielfältige Weise, wie irgend möglich. Auf diesem Weg ist sie unmittelbar verknüpft mit einer Grundvoraussetzung der Demokratie, denn sie gewährleistet den individuellen Blick, die Bildung individueller Haltung und Persönlichkeit, weshalb in jeder totalitären Gesellschaft die Kunst (und die Literatur) rigoros reglementiert wird. Und hier liegt die Verantwortung der Künstler gegenüber dem Gemeinwesen, das ihnen wiederum einen Handlungsspielraum gewährt. Unsere totalitäre Vergangenheit hat uns diese Lektion zur Genüge gelehrt, und gerade in der Erkenntnis, welche Bedeutung die kulturelle Vielfalt und Freiheit für die Demokratie hat, liegt die historische Ursache für die beispiellose Dichte der Kulturförderung in Deutschland. Unser Gemeinwesen hat sich für die Kultur entschieden, nicht als Luxus, sondern als Selbstschutz!

Die derzeitigen Bemühungen der neoliberalen Kräfte zielen aber gerade darauf hin, diesen Spielraum, der in den letzten Jahrzehnten schon deutlich kleiner geworden ist, weitgehend abzuschaffen. Aus diesem Grunde halte ich es für unabdingbar notwendig, dass sich alle Kulturschaffenden ihrer gesellschaftlichen und individuellen Verantwortung bewusst werden, und das nicht im Sinne parteipolitischen Engagements, sondern zum einen im Sinne radikal individueller Positionen, die sich weder einer Mode, noch dem Kunstmarkt, geschweige denn fragwürdigen akademischen Direktiven beugen, die vorgeben wollen, wie politisch oder unpolitisch Kunst zu sein habe. Zum anderen muss, um der gezielt herbeigeführten Atomisierung der Gesellschaft entgegen zu wirken, das Bewusstsein und damit die Handlungsgrundlage eines jeden Individuums erstarken, Teil eines Gemeinwesens zu sein, dessen wichtigste Aufgabe es ist, das geistige und körperliche Wohlergehen jedes Einzelnen zu gewährleisten. Denn wenn das nicht die Aufgabe eines Gemeinwesens und Staatsgebildes ist, wozu sind Staaten dann nötig?

Die Freiheit und den Schutz, den unser Gemeinwesen uns Kulturschaffenden noch bietet, dürfen wir uns nicht vollends wegnehmen lassen! Genauso wenig, wie wir uns unsere essentielle Bedeutung für den Erhalt der Demokratie kleinreden lassen dürfen! Kunst ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit!

Ⓒ Dr. phil Thomas J. Piesbergen / VG Wort, März 2015