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Ausstellungsansicht "Transformer", Monika Zabel & Jean Molitor, Foto: Jean Molitor |
Die Ausstellung Transformer von Monika Zabel und Jean Molitor konfrontiert uns mit einem Aspekt unseres Lebens, mit dem wir uns täglich beschäftigen, der uns unbewusst lenkt und mit dem wir bewusst versuchen uns in Übereinstimmung mit uns selbst und unserem Umfeld zu bringen: Die Kleidung.
Doch anstatt nur ästhetisch ansprechende Mode zu präsentieren, untersucht Monika Zabel in ihren Entwürfen, fotografisch in Szene gesetzt von Jean Molitor, grundsätzliche Aspekte der Mode und lenkt unseren Blick auf die Fragen: Welche Aufgaben erfüllt Kleidung im gesellschaftlichen Zusammenhang? In welchem Zusammenhang steht sie mit unserer Identität? Und nach welchen erlernten Mustern nehmen wir sie überhaupt wahr?
Um in diese Ausstellung einzuführen, möchte ich deshalb einen fragmentarischen Exkurs in die Kultur- und Sozialgeschichte der Mode wagen, um den Blick zu öffnen für ihre gesellschaftliche Funktion und ihre Bedeutung für die Identität.
Schon in der Altsteinzeit trug der Mensch Kleidung und es ist anzunehmen, das sie, zusammen mit Schmuck und Körperbemalung, schon früh dazu diente, Gruppenidentitäten zu schaffen. Im Laufe der Steinzeit vollzog sich auch eine innere Differenzierung der Gruppen. Entsprechend begannen die Menschen Kleidung zu tragen, die ihr Alter und ihre soziale Position kennzeichnete. Ab der Bronzezeit kann auch eine modische Differenzierung der Geschlechter anhand der Kleidung als gesichert gelten.
Diese Entwicklung setzte sich stetig fort. In den frühen Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens hatte Bekleidung bereits die klare Funktion, die verschiedenen gesellschaftlichen Geschlechter, Stände oder Klassen zu repräsentieren. Sie diente dazu, eine kulturelle Struktur erkennbar zu machen, und mit ihrer Norm aufrecht zu erhalten. Damit war Kleidung zu einer informellen Machtstruktur geworden, mit der den Mitgliedern einer Gesellschaft ihr spezifisches Geschlecht und ihre gesellschaftliche Position zugewiesen wurde.
Im Alten Rom waren es die verschiedenen Togatypen, die zur Kennzeichnung der verschiedenen Stände dienten. Dort werden wir aber auch erstmals Zeuge, wie die Norm aufgeweicht wurde und Teile der Oberschicht versuchten, der Kleidung einen individuellen Ausdruck zu geben, und zwar in Form des Faltenwurfs. Vielleicht kann man das als den ersten regelrechten Modetrend der Geschichte bezeichnen.
Es galt: Je mehr Falten und je kunstvoller sie gestaltet waren, desto besser. Reiche Römer hielten sich dafür eigens einen Sklaven, den Vestiplicus, dessen einzige Aufgabe darin bestand, seinem Herren in stundenlanger Arbeit die Toga zu fälteln.
Mit diesem individualisierenden Modetrend korrespondierte das zunehmende Bedürfnis nach individuellen Portraits in der Kunst.
Neben der gesellschaftlichen Norm ist dieser Wunsch nach individuellem Ausdruck die zweite Kraft, die von nun an auf die Gestaltung von Kleidung Einfluss hat. Die weitere Geschichte der Mode wird bestimmt von dem Wechselspiel zwischen Gruppenidentität und und Individualität.
Mit den Umstürzen der Völkerwanderungszeit wurden diese ersten, antiken Ansätze zu einer Emanzipation des Individuums sowohl im Geistesleben wie auch in der Mode wieder unterdrückt. Im aufziehenden Mittelalter hatte die Kleidung für den Großteil der Bevölkerung nur praktische Bedeutung. Selbst die geschlechtsspezifische Kleidung und die lokalen Trachten unterschieden sich nur geringfügig voneinander.
Mit dem Aufstieg des Adels jedoch, und der wachsenden Macht der Kirche, wurde die Kleidung wieder zu einer scharf trennenden Kennzeichnung von Stand und Geschlecht.
Auf dem Feld der Mode entstand erst im Spätmittelalter wieder etwas, das mit der römischen Faltenmode und ihrem Drang zu individuellem Ausdruck vergleichbar war: Der Trend des Schnabelschuhs.
An den Höfen wetteiferten die Adligen miteinander, wer die längsten und spektakulärsten Schnabelschuhe trug. Schließlich wurde dieser Modewelle im Jahr 1463 ein Ende gemacht. Eduard IV. erließ das weltweit erste Gesetz, mit dem Kleidung juristisch normiert wurde. Es schrieb exakt vor, für welchen Adelsstand welche Länge von Schnabelschuh zugelassen war. Erstmals war Mode zu einem institutionalisierten Machtinstrument geworden. Und der Drang zu individuellem Ausdruck wurde ein weiteres Mal unterdrückt.
Mit der Renaissancezeit kam die Gegenreaktion. Die zunehmende Unabhängigkeit der Städte, der Wohlstand ihrer Bürger, der schwindende Einfluss von Kirche und Adel und die Verbreitung des Buchdrucks schufen einen idealen Nährboden, um den Individualismus erneut zu stärken. Gut 100 Jahre später sollte er in Descartes „cogito ergo sum“ gipfeln.
In der Kunst gewann die Portraitmalerei erneut große Bedeutung; und der Reichtum, den der beginnende Kolonialismus brachte, ermöglichte dem Bürgertum seinen persönlichen Wohlstand und das individuelle Geltungsbedürfnis mit einer noch nie gekannten Fülle verschiedenster prachtvoller Textilien zu inszenieren.
Besonders die kulturelle Avantgarde der Renaissance war dafür bekannt, dass sie zu modischen Extravaganzen und einem hoch individuellen Stil neigte: Da Vinci liebte prachtvolle Farben und fließende Schnitte, der Philosoph Mirandola war für seine streng asketische Kleidung bekannt, Rafael für seine Eleganz, und Michelangelo dafür, dass er nichts darauf gab und meist schmutzig und heruntergekommen herumlief.
Die Befreiung von gesellschaftlichen Machtstrukturen führte in Norditalien schließlich nicht nur zu nahezu anarchistischen politischen Zuständen, sondern ermöglichte auch, die Norm der Geschlechtszuweisung aufzuweichen - sofern es Männer betraf. Männerkleidung konnte sich in Stoff und Schnitt der weiblichen Mode stark angleichen, und es gab an den italienische Höfen sogar junge Männer, die tatsächlich Frauenkleider trugen und sich wie Frauen schminkten, allerdings ohne öffentlich eine weibliche Identität für sich in Anspruch zu nehmen. Frauen blieb diese Möglichkeit der Aneignung verboten.
Der nächste große Paradigmenwechsel ereignete sich in Frankreich unter der Herrschaft von Ludwig XIV. Er war der Erste, der das ganze Potenzial von Mode als Machtwerkzeug erkannte. Indem er ständig neue Trends schuf, hielt er den Adel, den er in Versailles um sich geschart hatte, stets beschäftigt. Denn wollte man nicht sein gesellschaftliches Gesicht und damit Gunst und Einfluss verlieren, musste man modisch auf dem neuesten Stand bleiben. Wahrscheinlich hat unser heutiges Modeverständnis dort seinen Ursprung.
Zudem nutzt Ludwig XIV. die Mode, um die Vormachtstellung der französischen Textilindustrie auszubauen und bereitete ihre Industrialisierung vor - womit er ein weiteres Mal das Bürgertum stärkte.
Durch die industrielle Herstellung und die großen, miteinander konkurrierenden Modehäuser, wurde Mode immer größeren Gruppen zugänglich und demokratisiert. Gleichzeitig veränderte sich die Qualität des normierende Druck für die Bevölkerung. Denn nun wurde es auch für gewöhnliche Bürger notwendig, sich den ständig ändernden Modetrends zu unterwerfen, um sich eine gesellschaftliche Position zu erkämpfen oder zu erhalten. Dadurch wurde das aufblühende Bürgertum zu der Macht, die die ästhetische Norm dominierte. Zugleich spürte die Gesellschaft, noch immer traumatisiert vom 30jährigen Krieg, ein starkes Bedürfnis nach Stabilität und Ordnung. Die entsprechend starren Verhältnisse führten aber schließlich nur zu einer Radikalisierung des Individualismus und dem Wunsch nach Freiheit. Inspiriert von Jean-Jaques Rousseau entstand ein widerständiges, demokratisches Milieu, das zum Nährboden der Französischen Revolution wurde, und aus dem schließlich der Geist der Romantik erwuchs, für den Freiheit, Individualität und Leidenschaft als höchste Güter galten. Von diesen Ideen entzündet, waren es erneut vor allem Künstler, die die modische Norm in noch nie gekannter Vielfalt aufbrachen. Lord Byron und Fürst Pückler-Muskau trugen fantastische orientalische Trachte, Ludwig Tieck liebte mittelalterliche Kostüme, E.T.A. Hoffmann kleidete sich bewusst nachlässig, Bettina von Arnim liebte fantasievolle Gewänder und verspielten Schmuck, Liszt trug auffällige Samtjacken zu seinem langen Haar. Tatsächlich wagten es einzelne Vorreiterinnen wie George Sand oder die Malerin Rosa Bonheur sogar, Männerkleidung zu tragen, wozu in Paris allerdings eine polizeiliche Genehmigung notwendig war. Frauen war es gesetzlich verboten, sich in Hosen in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Trotz der Restauration im 19. Jhd. setzten die geistesgeschichtlichen und sozialen Umbrüche im 19. und 20. Jahrhundert die Liberalisierung und Individualisierung der Gesellschaft fort. In Zentren der kulturellen Avantgarde wurde ab der Jahrhundertwende sogar gewagt, queere Lebensstile in einer Halböffentlichkeit auszuleben. In den 20er Jahren wagten immer mehr Frauen, die modischen Codes der Geschlechtszuweisung zu brechen. Vor allem Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich, Tallulah Bankhead, Greta Garbo, Claire Waldoff oder Erika Mann trugen Hosen, Smoking und Krawatte. Als Reaktion auf diese Vorstöße der Selbstbestimmung wurden die betreffenden Künstlerinnen in den frühen 30er Jahren in Deutschland fast ausnahmslos mit einem Berufsverbot belegt. Und Marlene Dietrich, die vor den reaktionären Tendenzen in die USA floh, wurde wegen ihres Kleidungsstils beinah an der Grenze abgewiesen.
In Opposition zu den autoritären Tendenzen entstanden im Verlauf des 20. Jhds., neben der kulturellen Avantgarde, die Jugendsubkulturen, die sich der Norm mit klaren Mode-Statements widersetzten und ihre jeweils eigenen Codes und Gruppenidentitäten schufen. Je stärker das Zerwürfnis zwischen konservativem Bürgertum und Subkulturen, desto stärker setzten sie sich auch modisch ab.
Im Gegenzug wurden die neuen Trends immer stärker angefeindet. Auf Swing-Jugend folgten die Rock’n’Roller der 50er Jahre, darauf die sog. Exies oder Gammler, die Mods, die Hippies - und schließlich, als extremste Äußerung in Mode und Lebensstil, die Punks, deren modischer Ausdruck in einer Zerstörung der Mode und Ablehnung aller bürgerlichen Strukturen gipfelte.
In diesem emanzipatorischen Umfeld entfalteten sich auch andere non-konforme Lebensentwürfe: Der Feminismus formierte sich, die homosexuellen Communities und andere queere Gruppen wurden sichtbar und selbstbewusst. Die Zivilgesellschaft des politischen Westens wurde zusehends demokratischer und diverser.
Nachdem es im 20. Jhd. vor allem einzelne Gruppen waren, die versuchten, eigenständige Identitäten zu bilden, scheint es im 21. Jhd. endlich möglich zu sein, auch jenseits der Gruppen zu einer Emanzipation zu finden.
Queere Menschen brauchen ihre Communities nicht mehr nur dazu, um die Isolation zu überwinden, einander zu schützen und politisch wirksam zu werden. Die Communities fungieren zunehmend auch als Umfeld, um die ganz und gar individuelle Identität zu entfalten. Das Stichwort lautet nicht mehr Gruppenidentität sondern solidarische Diversität.
Diese langfristige gesellschaftliche Entwicklung hat in einigen Teilen der Welt, wie z.B. auch in Deutschland, schließlich eine der größten demokratischen Freiheiten errungen, die im Bezug auf die individuelle Emanzipation überhaupt denkbar ist: Die Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität mit der einhergehenden Überwindung der geschlechtlichen Binarität.
Welche nachhaltige Auswirkung diese Entwicklung auf die Normen der Mode haben wird, ist noch nicht abzusehen, denn wir stecken mitten darin. Doch Monika Zabel hat mit ihren im Poolhaus ausgestellten Bekleidungskunst eine Strecke des Weges nachgezeichnet, der uns bis in die Gegenwart geführt hat, und der auch erahnen lässt, wohin diese neue Freiheit führen könnte, sofern wir sie gegen die reaktionären Kräfte verteidigen können.
Als Ausgangspunkt ihrer Entwürfe, die sie ausschließlich aus recyceltem Material herstellt, dient ihr jeweils eine historische Persönlichkeit, die gewagt hat, gegen alle Widerstände einen queeren Lebensentwurf auszuleben.
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Ausstellungsansicht "Transformer", Monika Zabel & Jean Molitor, Foto: Jean Molitor |
Da ist Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, geboren als Catharina Margaretha Linck, der als Soldat diente und als Prophet der Wiedertäufer auftrat. Er heiratete eine junge Frau, wurde aber schließlich nach 3 Jahren Ehe von seiner Schwiegermutter als biologische Frau enttarnt und im Jahr 1721 als letzte Frau in Deutschland für gleichgeschlechtliche Liebe hingerichtet.
Eine ganz andere Biographie hatte Chevalière d’Éon. Als sie 1763, im Alter von 35 Jahren, nach England übersiedelte, wechselte der vormals als Mann lebende Charles d’Éon de Beaumont sein Geschlecht und lebte fortan als Frau. Als sie nach Frankreich und in ihr biologisches Geschlecht zurück kehren wollte, wurde ihr vom französischen König die Bedingung gestellt, das nur in Frauenkleidung tun zu dürfen, da es undenkbar schien, ein biologischer Mann könne freiwillig als Frau leben, geschweige denn er könne genderfluid sein. Also kehrte sie als Frau in ihre Heimat zurück, verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Fechtmeisterin in Schaukämpfen und bemühte sich später in der Französischen Revolution, ein Frauenregiment aufzustellen. Erst bei einer Obduktion nach ihrem Tod im Jahr 1810 wurde das biologische Geschlecht entdeckt.
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Ausstellungsansicht "Transformer" mit Monika Zabel und Didine, Foto: Jean Molitor |
Claude Cahun, Fotograf*in und Schriftsteller*in, war eine schillernde Erscheinung im Umfeld der Surrealisten. Geboren als Lucy Schwob nahm sie 1920, im Alter von 26 Jahren den Vornamen Claude an, der sowohl von Frauen als auch von Männer getragen werden kann. Sie bezeichnete sich als neutral und verweigerte sich konsequent der Geschlechtertrennung in der Mode. Ihre androgynen Selbstinszenierungen sind wegweisend für non-binäres Selbstverständnis geworden. Gemeinsam mit ihrer ebenfalls non-binären Lebenspartner*in, der Künstler*in Marcel Moore, geboren als Suzanne Malherbe wurde sie 1944 von den Deutschen, auch wegen wegen ihrer Arbeit in der Resistance, zum Tode verurteilt. Das Urteil konnte aber zum Glück nicht mehr vollstreckt werden.
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Ausstellungsansicht "Transformer", Monika Zabel & Jean Molitor, Foto: Jean Molitor |
Die letzte historische Person, auf die sich Monika Zabel bezieht, ist Maria Gräfin von der Borch, auch bekannt als Mary von Glasenapp. Sie war Flugzeugführerin im Ersten Weltkrieg und gab sich in Kleidungsstil und Gebaren eine ganz und gar männliche Erscheinung. Auch wenn sie im Übrigen das Leben einer verheirateten Cis Frau zu leben schien, fand ihre Persönlichkeit erst durch die Aneignung männlicher Symbole zu einem authentischen Ausdruck.
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Ausstellungsansicht "Transformer", Monika Zabel & Jean Molitor, Foto: Jean Molitor |
Diese verschiedenen Persönlichkeiten mit ihren ganz individuellen Konzepten von Identität werden von Monika Zabel aber nicht als modehistorische Schauobjekte und Kuriositäten präsentiert. Vielmehr versucht sie von ihnen eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen, in dem sie sie durch heutige Akteur*innen verkörpern lässt. Die Persönlichkeiten der Darstellenden haben wiederum als Anhaltspunkte gedient, die historischen Kostüme zu überformen und zu einem zeitlosen, hochindividuellen Ausdruck zu verdichten.
Die historischen Figuren werden von Didine van der Platenvlotbrug, Benedikt Ling, Victor Haisch und Emma Dierdorf verkörpert und interpretiert.
So wird schließlich in der Ausstellung Transformer beispielhaft vorgeführt, wie es möglich ist, durch das Wissen um Bekleidungscodes und ihrer Machtgeschichte, sich von Fremdzuweisungen zu emanzipieren. Durch die Umdeutung und Erweiterung einer überwundenen Norm ist es möglich, zu einer modischen Autonomie zu finden, in der sich die selbstbestimmte, authentische und ganz und gar individuelle Identität ihrer Träger*in abbilden kann.
© Dr. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, September 2025
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Ausstellungsansicht "Transformer", Monika Zabel & Jean Molitor, Foto: Jean Molitor |
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