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Mittwoch, 24. Oktober 2012

Uwe Nitsche und die Verfügbarkeit der Kunst - Eine Einführungsrede von Thomas Piesbergen

Zu der Installation „Ursprünglich“ im Hühnerhaus Volksdorf, September 2012


Die Malerei begleitet den Menschen seit etwa 35.0000 Jahren. Die Bilder aus Lascaux sind fest im öffentlichen Bewußtsein verankert. Doch die Verfügbarkeit der Bilder, war damals eine gänzlich andere, als heute. Sie wurden meist in schwer erreichbaren Kavernen angebracht und waren niemals dazu gedacht, den Alltag des Menschen auszuschmücken.
Die Übermalungen, die häufig an ihnen zu beobachten sind, legen nahe, daß das Ziel des Malaktes nicht das Bild an sich war. Es war nur Vehikel eines Rituals, das auf einen bestimmten Zweck gerichtet war: auf die Jagdbeute oder einen spirituellen Inhalt, den man sich aneignen wollte.
Dieser sakrale Charakter der Bilder ist kennzeichnend für die ganze vor- und frühgeschichtliche Zeit. Erst in der Antike, vor allem im Römischen Reich, gewannen die Bilder eine profane Autarkie und wurden selbst zum Objekt der Repräsentation und des Schmuckes. Der Zugang zu ihnen war nicht mehr abhängig vom religiösen, sondern vom ökonomischen Status.

In der nach-antiken Zeit ging die Autarkie der Bilder als eigenständige Objekte wieder verloren. Bis weit ins Mittelalter diente die europäische Malerei ausschließlich zur Illustration biblischer Inhalte: als Fresko oder Buchminiatur. Zwar waren die Bilder der Öffentlichkeit zugänglich, aber nur in einem streng reglementierten Rahmen, der nur eine einzige Lesart der Bilder zuließ. Sie waren wieder zu Mittlern zwischen dem Menschen und seinem religiösen Objekt geworden.

Mit der Emanzipation des Individuums im Laufe des Spätmittelalters und der Renaissance wurden  wieder andere Bildinhalte möglich. In der Werkstatt des Jan van Eyck entstanden erste Bildnisse alltäglichen Inhalts; in der Werkstatt von Albrecht Dürer das erste Selbstportrait der nach-antiken Zeit. Mit diesen allseits bekannten Ikonen der europäischen Malerei wurde ein weiteres mal der Schritt vollzogen, den die Malerei bereits im römischen Reich getan hat: sie wurde profan, autark und für den wohlhabenden Bürger begrenzt verfügbar. Natürlich blieb die direkte Anschauung auf einen Kreis von Auserwählten beschränkt, denn die Bilder waren in privatem Besitz. Dieser eingeschränkte Status der Verfügbarkeit änderte sich geringfügig im 16. Jhd., in dem sich Kupferstichkopien zunehmender Beliebtheit erfreuten, und im Laufe des 17. Jahrhunderts, in dem erstmals private Sammlungen in öffentliche Hand übergingen und so die ersten Museen entstanden.

Doch erst zwei große technische Revolutionen im 20. Jhd. machten die Bilder  endgültig verfügbar: Die Fotografie durchbrach erstmals das Axiom der Einmaligkeit des Bildes. Ihr ist es zu verdanken, daß alle Bilder, auf die bisher verwiesen worden ist, in unser öffentliches wie privates Leben vorgedrungen sind. Sie sind nahezu omnipräsent geworden. Sie werden auf Postkarten und Poster gedruckt, in Kunstbänden versammelt, sie schmücken Prospekte, Broschüren, T-Shirts und Kaffeetassen. Ob es irgendwo auf der Welt die Originale dieser Ikonen gibt, spielt im öffentlichen Bewußtsein keine Rolle mehr.

Die Revolution der digitalen Medien gewährleistet schließlich die totale Verfügbarkeit der Bilder. Wir haben heute die Möglichkeit, auf ein nahezu unbegrenztes Bildarchiv zurück zu greifen, und uns diese Bilder anzueignen, sie zu vervielfältigen und beliebig zu bearbeiten.

Doch wie kann man als Künstler dieser jähen Flut, der Verfügbarkeit und erschreckenden Beliebigkeit der Bilder begegnen? Ist es heute noch sinnvoll, neue Bilder zu schaffen, wenn auch ihnen droht, zu bloßen Schablone degradiert zu werden?

Uwe Nitsche hat einen radikal anderen Weg gewählt. Sein Medium ist nicht das Bild an sich, sondern die Schnittstelle zwischen der Reproduktion und der Erwartungshaltung des Kunstkonsumenten. An dieser Schnittstelle interveniert er. Dazu bedient er sich in einem ersten Schritt Reproduktionen Alter Meister, die er zu neuer Kunst „recycled“, in dem er sie übermalt. Doch die Übermalungen haben nichts gemein mit den Malakten der Jungsteinzeit oder den Übermalungen eines Arnulf Rainer, die in der Art von Palimpsesten einen neuen Inhalt über einen alten legen. Sie bestehen viel mehr in einem Akt der Aneignung durch selektive Auslöschung. Sie dienen dazu, ausgesparte Motive hervor treten zu lassen. So haben die Farbaufträge auch nichts Gestisches, Malerisches an sich, denn sie sollen nichts anderes sein als Hintergrund, als „Tapete“.

"Ursprünglich" Installation von Uwe Nitsche, Hühnerhaus Volksdorf.kunst, 2012 (Foto: copyright by Uwe Nitsche)

Die auf diese Art hervorgehoben Motive sind überraschenderweise nahezu identisch mit den ältesten, uns bekannten Bildwerken: tote Tiere, Jagdwild, das sich in einem Stadium der Umwertung befindet: noch den Tod verströmend, doch schon bald Teil eines üppigen Festmahls. Die Themen der Aneignung und der Wiederverwertung werden auch inhaltlich aufgegriffen.

Doch das Werk Uwe Nitsches verharrt nicht bei dem Akt des freien Verfügens über bereits vorhandene Bildinhalte. Er rückt auch die mögliche Verfügbarkeit der eigenen Arbeit ins Licht: Unterhalb der Bilder sind oft Farbskalen angebracht. Sie erwecken den Anschein, die Bilder wären nur modellhafte Ausstellungsstücke einer Werkstatt für Auftragsmalerei, die sich der Betrachter in einer beliebigen Farbe bestellen kann. Dieses ironische Spiel wird noch weiter getrieben: Auf den Seiten der Internet-Druckereien, bei denen Uwe Nitsche Vorlagen für manche seiner Übermalungen drucken läßt, gibt es die Möglichkeit, sich die bestellten Bilder in virtuellen Räumen anzuschauen, um die bestellten Reproduktionen in Format und Farbe perfekt auf das eigene Wohnumfeld abzustimmen.
Daraus ergab sich für Nitsche der nächste konsequente Schritt: in der Art, wie moderne Einrichtungshäuser ihre Möbel mit Bildern zu scheinbar lebensnahen Ensembles gruppieren, versieht Nitsche seine Bilder mit modellhaften Wohnensembles. Auch den toten Tieren begegnen wir in den Installationen wieder: Seite an Seite mit der Nebelkrähe von Dürer und dem Agnus Dei von Francisco Zurbaran hängen sie als Trophäen: Ein Hirschgeweih und ein ausgestopfter Marder. Die Konnotation, die die Bilder dadurch erhalten, wird schnell klar, ebenso der Unterschied zwischen ihnen und ihren prähistorischen Vorläufern: Sie sind nicht bloß Mittel zum Zweck, sie sind selbst Objekt der Begierde, sie selbst sind die Jagdbeute. Seht her, ich habe mir einen Dürer erlegt! Und zwar einen, der zu meiner Tapete paßt!

Hier vollzieht sich nun der radikale der Bruch mit der vermeintlich unumschränkten Verfügbarkeit der Bilder. Sie selbst treten zurück hinter dem Ensemble, der Inszenierung und den von ihr provozierten Feedbacks.
Die Widerspenstigkeit der Installation „Ursprünglich“ wird durch den kunstfremden Ort, das Hühnerhaus, noch auf die Spitze getrieben. Das, was der Mensch sich aneignen möchte, ist seinem Wohnumfeld entzogen und an einen Ort verbracht, der den abgebildeten toten Tieren näher steht, als ihm selbst.

Dr. Thomas Piesbergen
September/Oktober 2012