Nauka Zartnack
Paolos Rückkehr
Rums…ein Schlagloch. Paolo hob benommen den Kopf.
Seine Hände glitten über eine vertraute Oberfläche. Es war die Rückbank seines Jeeps. Er blinzelte in das grelle Nachmittagslicht, doch die Sicht blieb verschwommen.
Vor ihm auf dem Fahrersitz zeichnete sich langsam eine Silhouette ab. Und wieder ein Schlagloch. Der Kopf schmerzte und drohte zu platzen.
„Was machst du hier? Was hast du getan?“, stöhnte Paolo. Die Silhouette drehte sich um. „Jetzt gibt es nur noch uns beide!“
Ein hämisches, irres Lachen stieg aus der Tiefe hervor, füllte das Wageninnere, drang in Paolos hämmernden Schädel, spülte die schrecklichen Bilder wieder empor und raubte ihm ein weiteres Mal das Bewusstsein...
Acht Monate zuvor.
Der Wind schnitt mit seinem eisigen Atem um die Berge. So kalt wurde es zuhause in der Toskana nie.
„Paolo, pass auf! Die drei Damen da drüben wollen ausbrechen. Treib sie hier rüber und komm den Kälbern nicht zu nahe. Sonst machst du gleich mit den Hörnern Bekanntschaft. Vergiss nicht, das sind keine Pferde wie bei Dir zuhaus.“.
Sepp nahm Paolo hart ran. Was konnte ein italienischer Pferdewirt schon von Milchkühen wissen. Genauso wenig hatte er verstanden, was der junge Spund bei ihm hier oben suchte, auch wenn Paolo ihm fast jeden Abend nach getaner Arbeit davon erzählte, wie er seine ganze Jugend davon geträumt hatte, mit einem Rucksack durch Europa zu reisen.
Nun half er für drei Wochen dem alten Milchbauern Sepp Heininger. Sie trieben das Vieh hinunter ins Tal. Paolo bekam schnell Frostbeulen an den Händen. Abends jedoch bei heißer Milch und einem Glas Most wurden die Glieder wieder warm und er sah dem nächsten Tag mit Freude entgegen.
Sepp war ein komischer alter Kauz. Er hatte sein Leben lang einsam in der Berghütte gehaust. Die meisten aus dem nahegelegenen Dorf hielten ihn für verrückt. Aber Paolo hatte ihn gleich in sein Herz geschlossen und störte sich nicht daran wenn Sepp wieder mit den Vögeln in den Bäumen über Fußball diskutierte. Was für ein einsames Leben musste das sein. Paolo dachte wehmütig an seine Frau Emilia. Doch dann hieß es wieder die Ärmel hochkrempeln und sein Heimweh war wie weggeblasen.
Als sie am letzten Abend an Sepps Hütte ankamen, war es schon dunkel. Die Tage wurden jetzt immer kürzer.
„So das war die letzte Herde. Jetzt ist das gröbste für den Winter vorbereitet. Und du ziehst morgen weiter nach…wohin?“ „Nach England und dann hoch nach Schottland.“ „Nun…wenn dich das glücklich macht, mein Junge.“ Sepp setzte sich an den Kamin und rümpfte die Nase.
Paolo sah den Alten an, der mit sich stille Zwiesprache hielt, während dieser in die Glut blickte. Ihm wurde warm ums Herz.
„Hey Sepp, die letzten Wochen bei dir waren schön. Ich habe viel gelernt. Ich würde dich gerne wieder besuchen, um dir beim Viehtreiben zu helfen.“
„ Wenn du unbedingt willst. Ich werde schon ein paar Aufgaben für dich finden. Aber lässt dich deine Frau denn nach der Geburt überhaupt noch weg?“, brummte er mürrisch.
Paolo wusste, dass das das Herzlichste war, was man von Sepp erwarten konnte. Vergnügt tranken sie ihren Most am Kamin.
Rattatta rattata rattata…die Landschaft wurde rauer. Regen peitschte gegen die Scheibe. „Nächster Halt Fort William in 30 Minuten.“ Nach einem kurzen Aufenthalt in
London, fuhr er weiter in den Norden von Schottland. Über Bekannte hatte er die Adresse von Sir John Scotterfield erhalten, einem passionierter Jäger und Briefmarkensammler. Die Jagdsaison hatte gerade begonnen und Paolo sollte Sir Scotterfield zur Hand gehen.
Der Zug fuhr in den kleinen Bahnhof ein. Mit seinem Wanderrucksack bepackt kletterte er aus dem Zug und suchte nach einem älteren Herrn, der Sir Scotterfield sein könnte. Als der Bahnsteig sich geleert hatte, trat hastig ein Mann durch die Bahnhofstür gefolgt von einer riesigen Dogge.
„He Sie da. Sind sie Paolo?“ „Ja das bin ich. Sir Scotterfield? “„Nennen Sie mich Sir John. Kommen Sie mit.” Paolo folgte ihm zu einen Range Rover. Dieser hatte seine besten Jahre bereits hinter sich. „Setz dich auf die Ladefläche. Maggie sitz vorne.“, sprach Sir John und tätschelte dabei den Kopf der Dogge. Komische Sitten, dachte sich Paolo, zog seine Jacke fester und bemühte sich nicht von der Ladefläche zu fallen.
In den nächsten zwei Wochen war Paolo der Laufbursche für Sir John. Er begleitete ihn auf der Jagd und trug für diesen die erlegten Tiere zum Gut. Sir John hatte eine ruppige Art, und der für Paolo kaum verständliche schottische Dialekt machte es nicht einfacher, mit ihm umzugehen. Allerdings stellte sich Paolo auch nicht sehr geschickt an. Tiere nur zum Zeitvertreib zu töten widerstrebte ihm. Sir John entging sein Widerwillen nicht und so wurde ihr ohnehin distanziertes Verhältnis von Tag zu Tag kühler.
Sie waren gerade in einem der Nebengebäude des Anwesens und zogen den erlegten Tieren das Fell ab. „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Erst den Bauch aufschlitzen, ausbluten lassen und dann den Kopf abtrennen. Ich zeig es dir hier bei dem Hasen.“ Mit funkelnden Augen schlitzte Sir John den Hasen auf. Beherzt griff er nach den Eingeweiden und ließ sie in einen Eimer fallen. „Das gibt es nachher zum Essen. So und jetzt schön ausbluten lassen. Siehst du wie herrlich das fließt? Da gibt es kaum einen Unterschied zwischen Menschen und Tieren.“ Als das Blut nur noch zäh herab tropfte, nahm er ein Hackmesser und schlug den Kopf mit einem einzigen Schlag ab. „So du Italiener, dann zeig mal, was du kannst. Ist halt was anderes als Pasta, was.“, lachte Sir John gehässig.
An diesem Tag war Sir John besonders übellaunig. Erbarmungslos fuhr er Paolo an und kommandierte ihn von einer Aufgabe zu nächsten. Schließlich schlug er Paolo das Messer aus der Hand und schrie: „Jetzt hast du das ganze Fell versaut. Wie dumm kann man nur sein! Elender Spaghettifresser!“ Nun hatte Paolo genug. „Ständig brüllen sie mich an! Das muss ich mir nicht mehr antun! Ich gehe!“
Er stürmte aus der Werkstatt, stieg hinauf in die kleine Kammer unter dem Dach und
packte seine Sachen. Dann kehrte er zurück in die Werkstatt, um sich zu verabschieden. Auf halben Weg kam ihm Sir John entgegen. In seiner Hand hielt er
ein Gewehr. „Verschwinde du Nichtsnutz! Undankbarer Kerl! Dich hier durchfüttern lassen
und nicht arbeiten wollen! So hab ich es besonders gern!“ Er schoss zweimal in die Luft.
Paolo zuckte heftig zusammen. „Sie sind ja wahnsinnig!“
„So, bin ich das?“
Ein dritter Schuss zerriss die graue Luft. Paolo stolperte hastig über den Kiesweg zum Tor. Weitere Schüsse fielen.
Gerade als er das Tor erreicht hatte, glitt er auf dem Kies aus und stürzte. Wieder ein Schuss. Sir John kam immer näher. Paolo rappelte sich auf, hastete durch das Dickicht der Kiefern und Rhododendren und rannte und rannte. Sein Atem war flach, Schweiß lief ihm die Stirn und den Rücken hinunter. Nach einiger Zeit verlangsamte er seine Schritte. Er hörte Sir John nicht mehr schreien und auch die Schüsse waren inzwischen nur noch leise zu hören. Er war fürs erste in Sicherheit.
Irland. Windig, regnerisch und grün wohin das Auge reicht. Gleich bei der Ankunft lernte er an einer Bushaltestelle Brandon O´Boyle kennen. Es waren nur wenige Worte und wenige Blicke nötig um ihren Pakt zu besiegeln. Paolo schien es fast so, als hätte er einen lang verloren geglaubten Bruder gefunden.
Brandon war Extremsportler und ständig auf Reisen. Keine Klippe war für ihn zu hoch und keine Schlucht zu tief. Ständig war er auf der Suche nach dem nächsten Nervenkitzel, der nächsten Herausforderung. Drei Wochen lang streiften sie Unbeschwert wie die Kinder über Wiesen und Heide, bezwangen Felsen und Burgruinen, spielten Spiele.
„Wetten das ich diese Klippe hinauf komme mit nur einem Arm und meinen Beinen?“
„Ha, das ist doch verrückt. Lass das Brandon.“, lachte Paolo und machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Los Kleiner, bind mir den linken Arm auf den Rücken. Los mach schon.“
„Das ist doch nicht dein Ernst?“
„Und wie das mein Ernst ist!“ jubelte Brandon, nahm einen Schal und gab ihn Paolo.
Zögernd band er ihm den Arm auf den Rücken und schon machte sich Brandon an den Aufstieg. Paolo war nicht wohl bei dem Anblick, doch Brandon meisterte Meter für Meter problemlos. Es war unglaublich. Oben angekommen, stieß Brandon einen
Siegesschrei aus und forderte Paolo auf, ihm nach zu kommen. Beim letzten Vorsprung reichte Brandon ihm die Hand und zog ihn mit Schwung hinauf. Mit einem triumphierenden Lachen sprang Brandon um Paolo herum, dann lief er die Weide hinunter, die auf der anderen Seite der Klippe zum Tal führte.
Paolo sah ihm mit einem Lächeln nach, schüttelte den Kopf und sagte zu sich selbst: „Wie ein übermütiges Kind. Ich werde dich vermissen, Brandon.“
Als sie abends beim Lagerfeuer saßen, brachte Paolo es kaum übers Herz seine
bevorstehende Abreise anzusprechen.
„Das waren die besten drei Wochen meines Lebens, Brandon. Aber, weißt Du, es wird Zeit für mich.“
„Ach Kleiner, was zieht dich nur nach Hause? So unbeschwert wie hier wird es nirgends sein.“, murmelte Brandon.
„Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich nicht bei der Geburt dabei bin, weißt Du? Ich habe es Dir noch nicht erzählt, aber Emilia erwartet unser drittes Kind. Danach muss man etwas ruhiger werden, das verstehst du doch, oder?“
Er hielt Brandon das Ultraschallbild hin, das er seit Monaten wie einen Schatz bei sich trug.
„Aha, das Dritte also.“ Brandon sah kaum hin und spuckte in die Glut
„Aber du kannst mich besuchen kommen, wann immer du willst. Du bist für
mich wie der große Bruder, den ich nie hatte.“
„Wie ein Bruder, was?“
„Ja, wie ein Bruder! Du bist dann der Onkel Brandon.“
„Na gut. Ich nehm dich beim Wort. Onkel Brandon…tztztztz.“, gab er kopfschüttelnd zurück.
Am nächsten Morgen wachte Paolo alleine im Zelt auf. Brandon war verschwunden. Wahrscheinlich mag er keine langen sentimentalen Abschiede, dachte sich Paolo. Traurig machte er sich auf den Weg nach Dublin, um von dort aus weiter nach Paris zu reisen.
Paris. Laut und hektisch. Überall hupten Autos und ertönten immer wieder Sirenen von vorbeifahrenden Kranken- und Polizeiwagen. Ein Straßenmusiker quälte seine alte Ziehharmoniker bis aufs äußerste. Noch drei Wochen bis er wieder nach Hause fahren würde. Die Zeit raste. Emilia müsste jetzt schon kugelrund sein. Noch vier Wochen bis zum errechneten Termin. Paolo hatte sich am Bahnhof schnell ein Croissant und einen ziemlich schlechten Kaffee geholt. Er war die ganze Nacht mit dem Zug gefahren. Seine Glieder waren noch ganz steif.
Gerade biss er in sein Croissant als ihn jemand heftig anrempelte.
„Monsieur passen Sie doch auf. Wie können Sie mitten auf dem Bürgersteig stehen bleiben. Hoffentlich ist meinen Bildern nichts passiert. Nehmen Sie ihren Kaffee weg von mir.“
Paolo wusste gar nicht wie ihm geschah. Eine junge Frau mit bunten Rock und einer schwarzen Samtjacke, funkelte ihn zornig an und versuchte gleichzeitig eine übergroße Kunstmappe in den Griff zu bekommen. Am Revers hatte sie eine rote Rose angesteckt, die farblich perfekt mit ihrem Lippenstift übereinstimmte.
„Es tut mir leid, Madame. Ich hatte Sie nicht gesehen. Kann ich Ihnen irgendwie
helfen?“
„Non, non, non. Nehmen Sie ihre Finger weg. Sie…“
Als sie ihm das erste Mal direkt ins Gesicht sah, erstarrte sie.
„Nicht bewegen! Dieses Profil…einzigartig!“
Mit ihren Händen vermaß sie sein Gesicht und stieß verzückte Laute aus. Paolo traute sich kaum zu rühren. Die junge Dame hatte etwas sehr rigoroses an sich.
„Sie müssen sofort mit zu meinem Atelier kommen. Sie sind mein Amadé, den ich die ganze Zeit gesucht habe.“
„Ich bin ihr was? Was wollen Sie von mir?“
„Ah, entschuldigen Sie bitte Monsieur. Ich bin Amelie Dubois, Malerin und Bildhauerin. Und Sie habe ich gesucht. Ich träume seit einem Monat von solch einem Profil. Darf ich Sie malen?“
Die nächsten zwei Wochen verbrachte Paolo fast jeden Tag in ihrem Atelier. Neben zahllosen Skizzen und zwei Portraits, werkelte sie auch an einer Plastik.
Sie plapperte die ganze Zeit und versprühte ständig Rosenwasser in ihrem Atelier. Sie meinte, sie könne sich da besser konzentrieren und der Gott der Kunst und der Liebe würde so zu ihr sprechen.
Nach einer anstrengenden Vormittagssitzung bat sie ihn mit einem Augenzwinkern:
„Cherie, bist du so lieb und holst uns etwas aus der Brasserie an der Ecke? Wenn Du
zurückkommst, würde ich gerne einen liegenden Akt von Dir zeichnen. Wie wäre es?“
„Da hat meine liebe Frau Emilia aber noch ein Wörtchen mitzureden.“, gab Paolo lachend zurück, doch er merkte, wie ihm das Blut in die Ohren stieg. Rasch wandte er sich ab und lief hinunter zur Straße.
Auf halben Weg fiel ihm ein, dass sein Portemonnaie noch oben auf der Fensterbank lag, und drehte rasch um.
Als er das Atelier wieder betrat, verfehlte ihn nur knapp eine Porzellanvase. Sie zerschellte am Türrahmen.
„Verschwinde von hier. Benutzt hast du mich.“
Paolo stand erschrocken in der Tür. Im Hintergrund sah er die Portraits von ihm,
allesamt mit einer Schere zerschnitten. Auch die Plastik lag zerschmettert auf dem Boden. Amelie griff nach einem Tonklumpen und warf ihn nach Paolo.
„Madre dio! Was ist denn? Was habe ich Dir denn getan?“
Amelies Stimme überschlug sich: „Du Ausgeburt des Bösen! Du Dämon! Scher dich
fort! Fahr zurück in die Hölle, aus der du hervorgekrochen bist!“
Als sie nach einer weitere Vase griff, wusste sich Paolo nicht anders zu helfen, als
fluchtartig das Atelier zu verlassen. Er rannte die Treppe hinunter auf die Straße. Fluchend warf sie ihm sein Portemonnaie hinterher, dann schlug sie das Fenster mit solcher Wucht zu, dass eine Scheibe zersprang.
„Amelie, aber was ist denn?“
Völlig verstört hob er das Portemonnaie auf und sah hinein. Rasch kontrollierte er, ob sein Geld und seine Papiere unangetastet waren. Dabei fielen ihm ein paar kleine
Papierfetzen auf den Boden. Er ging auf die Knie und las sie mit wachsender Besorgnis auf. Es war das Ultraschallbild. Nun dämmerte es ihm.
Auf dem Weg zu seinem Hotel schaute er immer wieder über die Schulter, aus Angst, sie könne ihm folgen.
Als er beim Hauptbahnhof ankam, hatte er noch immer zittrige Knie. Sein Blick fiel auf die Abreisetafel: da war der Zug nach Mailand. Eilig ging er zum Schalter und kaufte sich ein Ticket.
Als der Zug schon eine Stunde durch die monotone Herbstlandschaft gerattert war,
hatte er sich endlich beruhigt. Gerade puzzelte er die Teile des Ultraschalls zum dritten Mal zusammen, als ihn plötzlich eiskalt durchfuhr: „Meine Adresse! Warum hab ich ihr nur meine Adresse gegeben?“
Auf der Busfahrt von Mailand nach Florenz, träumte er sich bereits nach Hause zu seiner Emilia, der kleinen Anna und dem größeren Gerome.
Er freute sich nach so langer Zeit seine Lieben zu umarmen, stolz durch die Ställe zu gehen und die neuen Fohlen zu bewundern, dass ihm die letzten Wochen vorkamen, wie ein verrückter Traum. Er hatte mehr gesehen und erlebt, als er hatte erleben wollen.
Jetzt war sich Paolo sicher, dass er immer in der Toskana bleiben wollte, denn darin bestand kein Zweifel: zuhause war das Gras grüner als woanders.
Der Bus hielt an der Kreuzung. Von dort führte ein unbefestigter Feldweg zu seinem Hof. Nur noch zwei Kilometer zu laufen und er konnte seine liebe Familie in die Arme schließen. Beschwingt nahm er Meter für Meter. Seine Füße knirschten über den steinigen Sandboden. Da nahm er schon die letzte Kurve zu seinem Hof. Dort lag es unter einem stahlblauen Herbsthimmel, eingefasst von grünen Koppeln: sein Haus, der alte Geräteschuppen, etwas hangabwärts die Stallungen, und rundherum Weideland wohin man schaute. Der nächste Nachbar war etwa eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt. Es war sein kleines Königreich, wo Emilia und er herrschten.
Die Wiedersehensfreude ließ ihn befreit auflachen. Seine Stimme hallte in der Mittagsstille wider.
Paolo blieb stehen. Es war still. Zu still. Kein Hund bellte, kein Pferd wieherte, selbst die Hühner gackerten nicht. Sein Mund wurde trocken. Er konnte nicht mehr schlucken.
Da sah er vor der Haustür etwas Schwarzes liegen. Mit hastigen Schritten eilte er hinüber und ihm entfuhr ein erstickter Schrei. Es war sein Hofhund Gianni. Der Bauch war der Länge nach aufgeschlitzt, auf den Innereien wimmelten bereits die Ameisen und Fliegen. Das Blut war schon in der Sonne getrocknet.
Eilig lief er ins Haus. Die Betten waren unberührt, der Frühstückstisch gedeckt.
Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, die Muskeln verkrampften sich. Er lief um das Haus herum, doch da entdeckte er nur die toten Hühner in ihrem Auslauf. Wie Gianni waren sie fachmännisch aufgeschlitzt. Paolo wurde schwindelig. Seine Augen füllten sich mit Wasser und die nackte Angst kroch in ihm hoch.
Er blickte zu den Koppeln hinter den Ställen. Seine Knie wurden weich. Auch dort nichts als Blut und das ekelerregende Geschwirr über den Innereien.
Er sank zu Boden. Leere. Absolute Leere. Sein Körper, seine Gefühle und Gedanken waren taub. Er spürte nichts mehr.
Die Sonne stach ihm in die Augen.
Und plötzlich formte sich ein Gedanke, schlimmer als alles, was er sich je hatte vorstellen können.
Ein erstickter Schrei brach aus seiner Kehle hervor. Er stürzte hastig den Hang zu den Ställen hinunter, unablässig betend: „Madre Dio, Bitte nicht, bitte nicht!“
Paolo riss die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen.
„Hallo Paolo! So schnell sieht man sich wieder!“ Sein Gehirn weigerte sich die Bilder aufzunehmen.
„Komm näher und setz dich!“ Wie eine Marionette gehorchte er.
„Brandon“, entwich es ihm endlich. Es war mehr ein Hauch als eine Stimme.
Ein helles Lachen durchschnitt die Mittagsstille.
Am Ende der Stallgasse stand die Mähmaschine. Ihre Messer blitzten im Sonnenschein. Darüber baumelten die Körper dreier Menschen. Sie waren sorgsam verschnürt und an den Dachbalken gebunden. Und davor lag Brandon, rauchend auf einem Strohballen und spielte mit seinem Klappmesser. Paolo kannte den Ausdruck in seinen Augen. Es war dasselbe Fieber, die gleiche Begeisterung wie in Irland an den Klippen.
„Wie Du siehst, kleiner Paolo. Ich habe Dich beim Wort genommen.“
Brandon war in Spiellaune.
Überarbeitung: Thomas Piesbergen