Der Begriff der Autonomie, also die individuelle Eigengesetzlichkeit, betritt die Bühne der Geistesgeschichte erstmals mit der Figur der Antigone in der gleichnamigen Tragödie des Sophokles. Und in Antigone und ihrem individuellen Drama zeigt sich bereits der vollständige Bedeutungsinhalt des Begriffs. Seine Wurzeln liegen jedoch in der vorangegangenen soziopolitischen Entwicklung Athens während der Perserkriege unter Themistokles, aus der schließlich die Demokratie hervorgegangen ist.
Der Kulturwissenschaftler Karl-Martin Dietz schreibt dazu: „Der zunächst völlig unwahrscheinliche Sieg gegen die persische Übermacht, die die Stadt Athen existentiell bedrohte, hat offensichtlich dort den Sinn für eine „innere Freiheit“ geweckt, die in den orientalischen Großreichen unbekannt war.“Dementsprechend unterschied Themistokles die Griechen von den Persern vor allem anhand ihres Freiheitsgrades: Während die Perser sich den stets wechselnden Launen ihrer Herrscher unterwerfen mußten, ordneten sich die Griechen ausschließlich den Gesetzen unter. Der Begriff der Autonomie wurde zunächst entsprechend nur auf die Polis, die sich selbst Gesetze gibt, angewendet.
Gut vierzig Jahre nach der Schlacht von Salamis machte Sophokles mit seiner Antigone den entscheidenden Schritt, den Begriff der Autonomie auch auf das Individuum anzuwenden; er wurde also dahingehend ausgeweitet, daß er auch die Auflehnung des Einzelne gegen die Gesetze einer Gemeinschaft einschließt, also die individuelle Eigengesetzlichkeit.
Seitdem wird unter Autonomie, wie Adorno es formuliert, die Kraft zur Reflexion und zur Selbstbestimmung verstanden. Diese beiden Charakteristika setzen wiederum zwei andere Sachverhalte voraus:
Der eine ist das Selbstbewußtsein, das die Voraussetzung zur Reflexion ist. Das zweite Charakteristikum ist die Handlungsmotivation, also der Wille, der der Selbstbestimmung notgedrungen vorangehen muß. Dazu schreibt Immanuel Kant: „Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (...) ein Gesetz ist.“
Graben wir an dieser Stelle tiefer, stellt sich die Frage, was denn aber nun die Voraussetzungen für Willen und Selbstbewußtsein sind. Diese Fragen können wir heute durchaus befriedigend von den Neurowissenschaften beantworten lassen. Nach Antonio Damasio kann es weder Handlungsmotivation noch Selbstbewußtsein ohne einen organischen Körper geben.
Der Körper des Menschen besteht aus etwa 100 Billionen kooperierender Zellen und jede dieser Zellen lebt nach dem Grundprinzip der Homöostase. Darunter versteht man das zentrale Bestreben aller lebendigen Systeme einen gedeihlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen und zu wahren. Dazu wiederum ist die Vermeidung von Verletzungen und die Sicherung des Fortbestehens notwendig. Diese beiden Notwendigkeiten liegen allen weiteren Lebensfunktionen zugrunde.
Im Falle höheren organischen Lebens wirkt die Homoöstase sowohl auf der Ebene der individuellen Zellen, als auch auf der Ebene ihrer Summe. Man kann die Homöostase also durchaus mit Schopenhauers Primat des Willens gleichsetzen und in ihr die ursächliche Handlungsmotivation des Lebens an sich sehen.
Als wichtiges Werkzeug der biologischen Evolution entwickelte sich bereits in ihrer Frühphase die Sinneswahrnehmung. Denn um Homöostase zu erreichen, ist es für Organismen notwendig, Reize aus der Umwelt aufzunehmen, gleichzeitig aber des eigenen Zustands gewahr zu sein und schließlich diese Informationen aus Innen- und Außenwelten zu einem Ganzen zusammenzufügen. Diese beiden Wahrnehmungsrichtungen sind bereits für die einfachsten Bakterien nachgewiesen.
Die Wahrnehmung des eigenen Zustands ist für das Zustandekommen von Subjektivität und schließlich des Bewußtseins essentiell, denn Subjektivität entsteht, laut Antonio Damasio, aus den Bildern, die wir uns von unserem Körper als Ganzem machen, während er Sinneseindrücke aus der Außenwelt aufnimmt und zu inneren Bildern verarbeitet. Diese Bilder bzw. Körperkartierungen schließen sowohl die Wahrnehmung des Rezeptionsvorgangs selbst ein, sowie unsere körperlichen Reaktionen darauf. Bewußtsein bedeutet also die Wahrnehmung wahrzunehmen, wozu wir wiederum auf die Selbstwahrnehmung der Zellen und ihrer jeweiligen Milieus angewiesen sind .
Reflexion, Selbstbestimmung und Willen, die für das Erlangen von Autonomie unerlässlich sind, können, nach dem Stand der Neurowissenschaften, also nur innerhalb eines lebendigen, organischen Körpers entstehen.
Sehen wir uns aber den gegenwärtigen Gebrauch des Begriffes „autonom“ an, besonders im Schlagwort des „Autonomen Fahrens“, müssen wir feststellen, daß er nur wenig gemein hat mit reflektierter Selbstbestimmung von Organismen. Gerade bezüglich des sog. autonomen Fahrens muß geklärt werden, wer eigentlich durch computergesteuerte Fahrzeuge Autonomie erlangen soll: das Fahrzeug oder der Fahrer?
Verstehen wir es erst einmal so, als seien die Automobile gemeint, denn schließlich sind sie ja imstande zu fahren, ohne daß sich ein Fahrer aktiv in das Verkehrsgeschehen einmischt. Daß diese Zuweisung der Autonomie ein Irrtum ist, wird aber schon auf den zweiten Blick offenkundig. Zunächst ordnen sich die angeblich autonomen Mobile dem Fahrtwunsch ihrer Insassen unter, denn die Automobile haben keinen eigenen Handlungsimpuls. Desweiteren müssen sie sich den allgemeinen Verkehrsregeln unterordnen. Doch auch das geschieht nicht aus freiem Willen, sondern ist Teil ihrer Programmierung.
Alle weiteren Entscheidungen, die von ihnen augenscheinlich autonom getroffen werden, richten sich nach vorgegebenen Algorithmen und vom Menschen gesetzten Leitlinien. Ihre Fähigkeit zum Personentransport unter gleichzeitiger Wahrung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer ist so lange experimentell erprobt und von Menschen nachreguliert worden, daß sich die sog. Lernfähigkeit und der Entscheidungsspielraum nur in extrem engen Grenzen bewegen kann, die durchaus den Begriff des „Automatischen Fahrens“, niemals aber den des „Autonomen Fahrens“ zulassen.
Das Postulat der Autonomie entpuppt sich hier also als Etikettenschwindel, und dazu ist es noch nicht einmal notwendig, die zuvor erläuterten Voraussetzung einer Körperlichkeit ins Spiel zu bringen.
Wie steht es also mit den möglicherweise erweiterten Freiheitsgraden der Passagiere eines computergesteuerten Fahrzeugs?
Natürlich ist zu erwarten, daß die Werbeindustrie vor allem darauf verweisen wird, daß der Mensch nicht mehr mit der lästigen Aufgabe des nervenaufreibenden Fahrens im Stadtverkehr oder dem ermüdenden Abreissen von Autobahnkilometern belastet sein wird, um sich wertvolleren Tätigkeiten zu widmen. Doch zunächst findet nichts anderes statt, als die Suspendierung des Menschen in die Passivität.
Denn die reflektierte Selbstbestimmung kann sich nur im Handeln manifestieren, nicht aber durch die bloße Behauptung ihres Vorhandenseins. Nach Sartre gibt es kein Sein ohne Handlung, denn erst im Handeln wird Existenz evident. Auf diesen Umstand hat auch Nietzsche im Zarathustra auf poetische Art hingewiesen. Dort heißt es: „...dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich.“
Indem wir also das Handeln und damit unsere Entscheidungsfreiheit algorithmengesteuerten Automaten überlassen, geben wir unsere Autonomie auf. Und das geschieht nicht nur beim pseudo-autonomen Fahren.
Jedesmal, wenn wir uns im Internet bewegen, hinterlassen wir Datenspuren, die von den großen Softwarekonzernen ausgewertet werden, um unsere Entscheidungsmuster daraus abzuleiten. Das geschieht mit dem Ziel, unsere Entscheidungen vorauszusagen und dadurch schließlich überflüssig zu machen. Bevor wir ein Bedürfnis oder ein Verlangen verspüren, wird uns bereits eine sofortige Befriedigung des zu erwartenden Wunsches angeboten, wodurch es weder notwendig ist, uns selbst und unsere Bedürfnisse zu ergründen, noch sich auf die Suche nach einer Möglichkeit der Befriedigung dieser Bedürfnisse zu machen. Die Selbstbefragung und damit der Kontakt zu unseren Körpern, die der Ort sind, an dem unsere Gefühle sich ereignen, wird übergangen, um unser Potenzial zum Konsumieren so schnell und effizient wie möglich auszunutzen.
Daß von diesen Mechanismen der Fremdsteuerung nicht die Konsumenten profitieren, wie uns weißgemacht wird, sondern nur die digitalen Oligarchen, zeigt sich in solchen Trends, daß nahezu alle führenden Köpfe im Silicon-Valley ihren Kindern die Nutzung digitaler Medien strikt verbieten oder extrem einschränken.
Mit dem Prozess der Entscheidung und Selbstbefragung kommen wir noch einmal auf die von Adorno genannte Reflexion zurück, die sich in der Sphäre der Vernunft abspielt, die wiederum, laut Nietzsche, nur ein Anhängsel der großen Vernunft des Leibes ist .
Wenn wir uns selbst in der Reflexion befragen, um zu einer vernunftgesteuerten Entscheidung zu kommen, sind wir immer auf unsere Erinnerungen angewiesen und auf unsere Fähigkeiten, innere und äußere Ereignisse in chronologischen Kausalketten zu gliedern. Doch die digitale Welt ist nicht nur raumlos, sie ist auch zeitlos.
Weder altern die Dinge in ihr, noch sind sie raumzeitlich voneinander getrennt, sondern liegen immer nur einen Mausklick weit entfernt. Genauso wenig müssen wir unsere Erinnerungen ausloten, um zu ergründen, wessen wir bedürfen und warum, da die Algorithmen uns die Entscheidung ja bereits abgenommen haben. Die Verknüpfungen der fragmentierten Inhalte gründen sich zudem nicht auf Kausalitäten, die einem chronologischen, individuellen Denkprozess entsprechen, sondern gründen sich auf quantitative, statistische Werte, nicht aber auf ursächliche Zusammenhänge.
Mit dem Verlust der Erfahrung von Chronologie und Raumzeit verlieren wir also auch unser Bewußtsein für Ursache-Wirkungs-Verkettungen und dadurch auch die Fähigkeit, einem langwierigen, komplexen argumentativen Aufbau zu folgen. Durch diesen Verlust des Gefühls für Dauer und Vergangenheit, für Ursache und Wirkung, wird auch die Fähigkeit neues Wissen zu generieren stark beschädigt. Alles was bleibt ist die makellose Gegenwart des Konsums sich ständig anbietender, leicht verdaulicher Informationshäppchen, die ohne Kontextualisierung sogleich wieder im digitalen Nirvana verschwinden.
Der daraus resultierenden herabgesetzten Aufmerksamkeitsspanne entsprechend, hat Benedikt Brockmann den installativen Teil der vorliegenden Ausstellung in Form plakativer, visueller Metaphern gestaltet.
Benedikt Brockmann, Data Valuta, Ausstellungsansicht, 2022 |
Im Zentrum sehen wir den Torso einer Schaufensterpuppe, die auf einen umgebauten Staubsauger-Roboter montiert ist. Dem Torso fehlen die Arme und Hände, also die prominentesten Werkzeuge des Menschen zu handeln. Die Herkunft der Schaufensterpuppe aus der Sphäre ökonomischer Zurschaustellung verweist wiederum auf die Bedeutung des Ausstellungswertes auf den, laut Byung-Chul Han, der einzelne Nutzer sozialer Netzwerke reduziert wird und sich selbst reduziert. Denn das Dunkle, Verworrene und Negative seiner Identität ist nicht schnell und einfach konsumerabel, weshalb es ausgeblendet wird.
Der offenkundige Freizeitlook der Figur deutet darauf hin, daß sie eigentlich kaum anwesend ist. Sie ist auf Urlaub und hat sich der alltäglichen Sphäre von Verantwortung und Sorge entledigt. Gleichzeitig aber hat sie sich auch selbst in die Passivität entlassen. Denn ihre Bewegung geht aus von dem sinnlos hin und her fahrenden Roboter, der geschredderte Datenschutzbestimmungen und AGB vor sich her schiebt.
Benedikt Brockmann, Data Valuta, Ausstellungsansicht, 2022 |
Dieser Datenabfall wird ununterbrochen vom einem Aktenvernichter ausgespuckt. Die Texte, die er vernichtet, sind die allgegenwärtigen Informationen und Richtlinien, mit denen wir als Nutzer digitaler Angebote tagtäglich konfrontiert werden, die die meisten von uns aber ebenso notorisch ignorieren, obwohl gerade sie uns über den kontinuierlichen Verzicht auf Autonomie und die Preisgabe unserer Datensicherheit und Privatsphäre unterrichten. Wir schieben sie ignorant, blind und ungelesen beiseite und liefern uns damit einer stetig wachsenden Manipulierbarkeit aus.
Benedikt Brockmann, Data Valuta, Ausstellungsansicht, 2022 |
Dieser Vorgang wird aufgegriffen von einer weiteren visuellen Metapher. Im Raum sind weiße Netze installiert, gefüllt mit weißen Gehirnen aus Gips, weiß wie die Unschuld, weiß wie die Fahne der Kapitulation, weiß wie unbeschriebene Blätter. Wir sehen vor uns ein Bild der vollständigen ökonomischen Abschöpfung entindividualisierter Objekte im Netz der digitalen Konzerne, die selbst stets darum bemüht sind, sich durch „white-Washing“ eine weiße Weste zu verschaffen.
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Ganz im Gegensatz dazu sehen wir im Keller, im verborgenen Untergrund, fünf Köpfe aus schwarzem Samt vor dunklem Hintergrund, kaum sichtbar und stellvertretend für die Big Five, die fünf größten Digitalkonzerne: Apple, Alphabet, Meta, Amazon und Microsoft. Sie sind verbunden mit einem gewaltigen roten Schalter. Doch wozu der Schalter dient bleibt unklar, genauso wie es unklar bleibt, ob das Deaktivieren von Cookies und Trackern per Mausklick tatsächlich stattfindet oder nur eine vordergründige Beschwichtigung unseres Mißtrauens ist.
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Dieser plakativen Opposition von Schwarz und Weiß ist eine weitere Bedeutungssphäre beigestellt, die sich der Plakativität verweigert und dem schnellen Zugriff entzieht. Es sind Malereien in der Tradition des Abstrakten Expressionismus, in denen die Intuition für das Gleichgewicht von spontaner, körperlicher Geste und Gestaltungsabsicht sorgt.
Während die reduzierten visuellen Metaphern der Installation ganz und gar dem Logos und dem Kalkül entspringen, befinden wir uns mit den Malereien im Reich des Gefühls, durch das sich unser Unterbewußtsein der erlebten Gegenwart einschreiben kann. Und genau diese Dimension unseres Daseins, die Existenz, die durch spontanes, autonomes Handeln ins Sein tritt, bleibt dem Zugriff digitaler Agenten unzugänglich, denn ihr maßgebliches Charakteristikum ist eben nicht die Transparenz, sondern, wie David Gelernter es beschreibt, das Dunkle und Verborgene, in dem die Körpererinnerungen Dinge miteinander verknüpfen, die disparat erscheinen, aber für uns zueinander gehören, weil sie sich einen emotionalen Zusammenhang teilen.
Ergänzt werden die Bilder, die in langen und oft unterbrochenen, also chronologisch komplexen Malprozessen entstehen, durch Schlagworte, erratische Zeilen, die ebenfalls keine Eindeutigkeit erzeugen.
Benedikt Brockmann, "Dream Machine", 2022 |
Auf dem Bild „Dream Machine“ sehen wir immer wieder die Buchstaben „OK“, als riefe sie jemand aus dem Inneren eines grau-weißen Dickichts.
Wenn wir, wie Gelernter es vorschlägt, das unterste, träumende Drittel des Spektrum unseres Geistes als den Ort begreifen, in dem unsere emotionalen Körperkartierungen die mit ihnen verknüpften Bilder aus der wahrgenommenen und erinnerten Außenwelt neu in Bezug setzen, wir uns im Traum also ganz und gar der, wie Nietzsche es sagt, größeren Vernunft unserer Leiber überlassen, können wir das wiederholte „OK“ als die Bejahung des körperlichen, leiblichen Seins lesen, so wie Nietzsches Übermensch erkennt, daß es keinen vom Körper gelösten Geist gibt und deshalb alle physische Existenz unbeschränkt anzuerkennen ist. Das bedeutet natürlich auch, ex tacendum, daß es keinen Geist ohne Körper geben kann, also auch kein Maschinenbewußtsein, wie es der Transhumanismus antizipiert, und demzufolge keine tatsächlich autonome KI.
Benedikt Brockmann, "They forced me to die, I' m innocent!", 2022 |
Auf einem anderen Bild lesen wir neben einer Form, die man als Gekreuzigten interpretieren kann: „They force me to die, I´m innocent!“
Im Gegensatz zu den in Netzen gefangenen, weißen Gehirnen und deren Konnotation der Unschuld sehen wir hier den Aufschrei vor einem vielschichtigen, grauen Hintergrund, in dem sich nicht nur Schwarz und Weiß, sondern etliche andere Farben gemischt haben. Vielleicht ließe es sich lesen als den Protest einer Existenz, die auf ihrer Uneindeutigkeit, ihre Vielschichtigkeit beharrt und deshalb unerwünscht ist, da sie sich der widerstandslosen Verwertbarkeit entzieht und in ihrer Behauptung der Unschuld die Existenz aller inkonsumerablen Zwischentöne bejaht.
Schließlich sehen wir auf einem dritten Bild über die deutlich organisch anmutenden Formen „exe. nackt no more“ geschrieben, was uns fast unmittelbar zu der von Byun-Chul Han angeprangerten Durchleuchtung und Pornographisierung der digitalen Räume und Identitäten bringt. Hier spricht zu uns die Weigerung sich vollständig nackt und transparent zu machen, und sich dadurch selbst zu einer Ressource zu degradieren.
Benedikt Brockmann, Data Valuta, Ausstellungsansicht, 2022 |
So kann man das ganze Ensemble der Ausstellung lesen als Postulat, daß tatsächliche Autonomie nur erlangt werden kann, wenn wir nicht Aspekte unseres Selbst aufgeben, um uns dadurch vermeintlich von Belastungen zu befreien, sondern daß wir nur imstande sind reflektiert, selbstbestimmt und eigengesetzlich zu handeln, wenn wir alle Aspekte unserer Existenz im Handeln manifest machen und erst dadurch unser Sein in vollem Umfang erfahren und in Erscheinung treten lassen können. Denn so und nur so können wir uns tatsächliche Autonomie erarbeiten.
© Dr. Thomas Piesbergen / VG Wort, April 2022
Benedikt Brockmann, Data Valuta, Ausstellungsansicht, 2022 |
Quellen
Theodor W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit, Suhrkamp Taschenbuch 11, Frankfurt am Main 1971
Antonio Damasio: Der Spinoza-Effekt, List, Berlin, 2005 & Im Anfang war das Gefühl, Siedler, München, 2017
Karl-Martin Dietz: Die Entdeckung der Autonomie bei den Griechen, in: Forum Classicum 4/2013, Bamberg, 2013
David Gelernter: Gezeiten des Geistes - Die Vermessung unseres Bewußtseins, Ullstein, Berlin, 2016,
Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Matthes & Seitz, Berlin, 2013
John Hands, Cosmo Sapiens, Albrecht Knaus Verlag, München, 2017
Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Meiner Verlag, Hamburg 1999
Harald Lesch: Die Digitale Diktatur, https://www.swr.de/wissen/tele-akademie/prof-242.html
Adrian Lobe: Bildschirmfrei ist das neue Bio, Warum die Programmierer im Silicon Valley ihre Kinder computerfrei erziehen, St.Gallener Tageblatt, 2. 4. 2019
F. Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Insel Verlag, München , 1976
Jean-Paul Sartre: Ist der Existentialismus ein Humanismus? Drei Essays, Ullstein, Frankfurt 1989
Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd.3, Diogenes, Zürich, 1977,
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