Kunstwerke sind ein Mittel der Kommunikation. Und so wie es in jeder Art der Kommunikation der Fall ist, wollen auch Kunstwerke verstanden sein. Denn sie sind bis auf wenige Ausnahmen, für eine Öffentlichkeit geschaffen. Doch so wie es verschiedenste Positionen in der Kunst gibt, gibt es auch sehr verschiedene Arten von Öffentlichkeit, denen die Kunstwerke jeweils zugedacht sind.
Da gibt es z.B. die überschaubare Öffentlichkeit der Galerien. Hier wird auf ein Publikum zugearbeitet, das vornehmlich aus gut orientierten Sammlern besteht.
Dann gibt es die Öffentlichkeit der Off-Galerien, Anlaufpunkt der Kunstszene, in denen viel experimentiert wird, um neue Ausdrucksformen auszuprobieren, um auf sich aufmerksam zu machen und sich zu vernetzen.
Es gibt die Öffentlichkeit der Museen, für die, wenn gezielt für sie produziert wird, auch Großformatiges, Spektakuläres geschaffen werden kann, das vielleicht sogar den Anspruch erhebt, zu einer Touristenattraktion zu werden.
Und schließlich gibt es die Kunst im öffentlichen Raum, die dem Menschen auch außerhalb ausgewiesener Kunstorte in seinem Alltag begegnet, die man nicht aufsuchen muss, sondern die uns unvermittelt trifft und Orientierungspunkt sein kann.
So wie man im Gespräch darauf achtet, dass man auf eine Art und Weise spricht, die dem Gesprächspartner verständlich ist, so hat auch jede Art der Öffentlichkeit, der man sich mitteilen möchte, einen starken Einfluss darauf, wie ein Kunstwerk gestaltet wird. Denn auch wenn Künstler*innen den Anspruch haben im eigenen Schaffen autark zu bleiben, versuchen sie dennoch das von ihnen anvisierte Publikum zu erreichen, und das hat, bewusst oder unbewusst, Einfluss auf ihre Arbeit.
Der Bildhauer Fritz Fleer war nie ein Künstler, dem es darum ging, zur Avantgarde zu gehören. Er hatte kein Interesse daran eine kleine Elite von Sammlern, Kuratoren und Kritikern zu beeindrucken. Ebenso wenig hatte er Interesse daran, mit seiner Arbeit die künstlerische Formensprache zu revolutionieren, oder das Establishment durch spektakuläre Inszenierungen zu provozieren und so politisch wirksam zu werden.
Sein Interesse war es immer, die Menschen unmittelbar zu erreichen, und zwar alle Menschen, nicht nur eine Teilöffentlichkeit. Deshalb hat er sich dafür entschieden, vor allem Kunst für den öffentlichen Raum zu schaffen.
Doch mit welcher Haltung ist er auf diese Öffentlichkeit zugegangen? Um mich dem zu nähern, möchte ich ein Zitat des Schriftstellers Alan Moore einschieben. Moore sagte in einem Interview: „Das Publikum weiß, was es will, es weiß aber nicht, was es braucht. Der Künstler weiß, was es braucht. Wüsste das Publikum, was es braucht, wäre es nicht länger ein Publikum, sondern selbst Künstler.“
Natürlich gibt es Künstler*innen, die dem jeweiligen Publikum, für das sie arbeiten, genau das geben, was dieses Publikum will.
Fritz Fleer hingegen war davon überzeugt, dass man für eine breite Öffentlichkeit Skulpturen schaffen müsse, die diese Öffentlichkeit braucht. Ihm ging es nie darum, gefällig zu sein oder in einem intellektuellen Diskurs Schritt zu halten, sein Anliegen war es vielmehr, etwas zu vermitteln, das den Menschen jeden Tag aufs neue Kraft und Zuversicht gibt, etwas, dass die Menschenliebe in ihnen weckt und ihnen Innere Haltung und Würde gibt - Dinge die nicht nur nach dem Grauen der Nazidiktatur und dem zweiten Weltkrieg bitter nötig waren, sondern deren Bedeutung auch heute noch ungebrochen ist.
Diese Einstellung, diese Werte und die Anforderung für eine breite Öffentlichkeit verständlich zu sein, haben ihn zu einem klaren Ausdruck, elementarer Komposition und einer zwar unzeitgemäßen, aber zugänglichen Gegenständlichkeit geführt.
Doch darf man Fritz Fleer nicht missverstehen als naturalistischen Künstler. Denn seine Skulpturen sind immer Ergebnis einer Reduktion auf das Wesentliche, auf die Idee einer inneren Einstellung, eines Selbstbildes. Es wäre aber ebenso ein Fehler, die Figuren Idealbilder zu verstehen. Dieses Konzept, wurzelnd im antiken Erbe der platonischen Ideenlehre, war lange Zeit maßgeblich für die Bildhauerei, hat aber schließlich auch zu den schrecklichen Irrtümern der faschistischen Kunst und ihrem Ideal des Herrenmenschen geführt.
Fritz Fleer wollte niemals zeigen, wie der Mensch sein müsse. Seine Figuren sollten vielmehr durch ihre Wirkung im Raum unmittelbar auf die Selbstwahrnehmung der Betrachter*innen wirken. Heute ist dieser Mechanismus wissenschaftlich beschreibbar geworden. Mittels der sogenannten Spiegelneuronen können wir Gestik und Mimik anderer Menschen innerlich nachvollziehen und uns in sie hineinversetzen. Die Haltung anderer Körper erzeugt in uns emotive Reaktionen.
Um diese gewünschte emotive Wirkung zu erzielen, hat Fritz Fleer seine Figuren so schlicht wie möglich gestaltet und auf alle überflüssigen Details, auf alles Pompöse oder Einschüchternde verzichtet. Ihre schlichte Botschaft sollte durch nichts überlagert werden.
Wenn wir also einer solchen Figur gegenüber stehen, die sich aufrecht hält, ohne uns mit dieser Haltung zu beherrschen, so können auch wir uns an ihr aufrichten.
Exemplarisch dafür sind Fleers Kruzifixe. Niemals hat er Jesus als Schmerzensmann dargestellt, als einen gequälten diesseitigen Leib. Für ihn war der Gedanke der Erlösung wichtig. Und die fand er nicht in der Darstellung des Leids, einer imposanten Inszenierung des Himmelreichs oder einer Auferstehung mit Gloriole und Engelschören, sondern in der schlichten Erhabenheit eines aufrechten, in sich ruhenden menschlichen Körpers, dessen Zuversicht und Gelassenheit unmittelbar auf uns übergeht.
So hat Fritz Fleer sein Leben lang mit seinen Skulpturen Orte ausgestattet und mitgestaltet, denen eine Aura der Würde, der Klarheit, Gelassenheit und Selbstachtung zu eigen ist. Und nicht nur seine Figuren strahlen diese innere Haltung aus, auch die von ihm gestalteten Altäre, Sockel oder Taufbecken sind davon getragen. Einerseits ruhen sie fest auf dem Boden, andererseits streben sie in die Höhe, wirken, als wären sie frei von aller Last.
So liegt es nur nahe, dass er auch ein feines Empfinden für sein eigenes Lebens- und Arbeitsumfeld hatte. In den frühen 60er Jahren engagierte er für den Bau seines eigenen Hauses in Wohldorf-Ohlstedt Otto Andersen, den wohl wichtigsten Kirchenarchitekten der 50er und 60er Jahre in Norddeutschland. Gemeinsam gestalteten sie Räume, die, wie auch Fleers Skulpturen, ein positives Raum- und Selbstgefühl vermitteln. Sie entwarfen ein Haus, das nicht repräsentativ in die Nachbarschaft hinaus protzt, sondern seinen Bewohnern Raum, Licht und Luft bietet, um sich in schlichter menschlicher Größe und Würde aufzurichten und sich zu entfalten. Dasselbe gilt für die Möbel, von denen Fleer etliche selbst gestaltete.
Inzwischen sind Fritz Fleer und seine Frau, die Fotografin Erika Fleer, gestorben und der Nachlass, das Haus mit dem Atelier, mit seinem Lager und einem großer Garten voller Statuen, in die Hände der Fleer Stiftung übergegangen.
Wie geht man nun mit so einem Nachlass um? Die Stiftung hat sich für das Naheliegendste entschieden:
Nachdem Fritz Fleer sein Leben lang Kunst für den öffentlichen Raum geschaffen hat, haben sie den Ort, an dem seine Kunst entstanden ist und der, seit seinem Entstehungsjahr, bis ins Detail nahezu unverändert geblieben ist, selbst zu einem öffentlichen Raum gemacht.
Vor allem Jugendlichen bietet sich nun die Gelegenheit, einen Ort zu erleben, an dem sie nicht nur den Skulpturen Fritz Fleers begegnen, sondern auch ein Gefühl für einen Ort entwickeln können, an dem einem solchen, dem Menschen zugewandten kreativen Schaffen ein idealer Rahmen geboten wird. Sie können einen Raum erfahren, der von dieser inneren Haltung durchdrungen ist, einen Ort, an dem sie wachsen und sich aufrichten können, so wie wir es tun können, umgeben von den Skulpturen und Reliefen dieser Ausstellung, die uns einen Einblick in die dem Menschen zugewandte Kunst Fritz Fleers eröffnet.
©️ Dr. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, September 2024
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