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Freitag, 30. Dezember 2011

Das etymologische Schleudertrauma des Walter Papst oder Das wahnsinnigste Buch der Welt

Wer kennt sie nicht: die Faszination des Abwegigen, Verstiegenen, Grotesken? Wer ist nicht schon einmal an einem Beitrag über Atlantis, den Yeti, Loch Ness, Area 51, Telepathie, Poltergeister, die Illuminaten, Architektur auf dem Mond oder die belgische Ufo-Welle hängen geblieben?
Das Vielleicht-doch-Mögliche, das Phantastische, das In-Frage-Stellen der Alltagsrealität mit den verschiedensten abwegigen Theorien und ihren zwar fragwürdigen, aber innerhalb ihrer Grenzen rührend stimmigen Argumentationsverkettungen übt zweifellos eine starke Anziehungskraft aus.
Selbst wenn man Erich von Däniken für einen gründlich verwirrten Menschen hält, kann es doch eine gewisse Lust bereiten, die höchst kunstvolle Akrobatik seiner Fehlinterpretationen archäologischer Befunde und anderer „Beweise“ zu verfolgen, die waghalsige Architektur seiner Gedankengebäude zu bewundern; und nicht selten muß man zugeben, daß das wissenschaftliche Fundament, auf dem man glaubt zu stehen, sich in vielen Fällen mehr auf Übereinkünften und nicht auf unumstößlichen Fakten gründet. 
Doch auch die Faszination, die solche abenteuerlichen Gedankenspiele ausüben, kann überstrapaziert werden. Vor allem, wenn sich diese Gedankenspiele in derart jenseitige Bereiche vorwagen, wie die Mutmaßungen von Walter Papst. Mit „jenseitig“ sei hier gemeint: jenseits aller Vernunft und jenseits all dessen, was dem Spracharbeiter hoch und heilig ist, nämlich eine gewisse Unversehrtheit des Wortes.
Nimmt man das Buch „Der Götterbaum“ zur Hand und liest den Klappentext, kann schon das erste kalte Grausen über den abenteuerlustigen Leser kommen, geht es doch um nichts anderes, als den Beweis, der Mensch und die Götter, die ihn (selbstverständlich künstlich) erschaffen haben, stammten ursprünglich vom Saturn, der, wie auch anders, eine mehrschalige Hohlwelt in sich berge. Diese Hohlwelt, so liest man staunend, sei identisch mit dem mythologischen Weltenbaum, insbesondere  der nordischen Weltenesche Yggdrasil, die wiederum identisch sei mit dem "Ur-Riesen" oder "Ur-Menschen", dessen zerstückelter Leib in zahllosen Mythen als Baustoff für die Schöpfung herhalten muß.
Wer wäre da nicht gespannt, wie dieses gewagte Unterfangen von Walter Papst gelingen wird? Mit welchen überraschenden „Beweisen“ wird er wohl aufwarten? Welche altbekannten X-Faktoren werden auf brillante Weise in ein neues, erhellendes Licht getaucht? Gibt es, selbst wenn alle Folgerungen des Autoren blanker Unsinn sind, vielleicht doch erhellende Informationsbröckchen zur Auskleidung des eigenen Weltbilds? Große Fragen und große Erwartungen.
Doch das, was dann kommt, ist erschütternd. Selbst der wohlwollendste Leser wird mit sich ringen, ob er den vormals international erfolgreichen Innenarchitekten und Designer Walter Papst, dessen Entwürfe z.T. schon Klassiker des modernen Designs geworden sind, für einen armen Irren oder ein humoristisches Genie halten soll. Leider gibt es wenig Anhaltspunkte dafür, er wäre letzteres gewesen. So muß denn die Arbeit, der Papst etwa 20 Jahre seines Privatlebens geopfert hat, vor allem als eines gelten: als eine wahrhaft unvergleichliche Beleidigung menschlicher Intelligenz, die im wohlmöglich wahnsinnigsten Buch der Welt ihren Niederschlag gefunden hat.
Daß im Verlauf von Papsts Erläuterungen die unterschiedlichsten Mythen von allen Erdteilen mehr oder minder willkürlich, methodisch konfus und sinnfrei durcheinander gewirbelt werden, mag aus Publikationen dieser Art hinlänglich bekannt sein. Doch das, was uns Papst neben der an sich schon grotesken Theorie vorsetzt, ist etwas, das man ungestraft als die Etymologie des Grauens bezeichnen darf. 
Denn Walter Papst stellt als eines seiner zentralen „Beweismittel“ Mutmaßungen über Wortherkunft an, die wirklich außerirdisch sind. Er geht dabei seelenruhig über Sprachfamilien, Kontinente und Jahrtausende sowie über jegliche, fundierte Forschung hinweg, die es auf diesem Gebiet bereits hinlänglich gibt, und die zahllose etymologische Wörterbücher füllt. Und hier kann man entweder nur noch in schallendes Gelächter ausbrechen, oder empört den Verlag zum Teufel wünschen, der es wagt, einen offenkundig schwer gestörten Mann durch die Publikation seiner Phantasmen in seinem Wahn zu bestärken und andererseits ahnungslosen Lesern dieses verstörende und verstörte Machwerk zumutet.
Im Folgenden seien einige der herausragenden Passagen zitiert. Es sind fraglos die Glanzlichter der ersten 200 Seiten (durch den Rest wollte, nein!: konnte ich mich nicht mehr hindurch kämpfen), aber dem wagemutigen Leser, der sich das Original zur Hand nehmen möchte, sei versichert: es vergeht keine Seite ohne vergleichbare Entgleisungen von Sinn und Verstand. Viel Vergnügen!
„Besonders rätselhaft ist ein Fundstück aus Peking, das völlig aus dem Rahmen fällt und von den Anthropologen nirgendwo eingeordnet werden kann. Haben wir es hier womöglich mit einem Götterschädel zu tun? Verdachtsmomente ergeben sich aus der Ähnlichkeit im Knochenbau mit dem Profil eines Boxerhundes (Augenwülste) und aus der sprachlichen Verwandtschaft von "God" und "dog". Der Gleichklang hat seine Gründe. Er ist ein erstes, verstecktes Anzeichen dafür, dass die Zeit vor der Sintflut nicht allein über Schädel zu rekonstruieren ist, sondern auch über die Sprache, die die Überlebenden weitervermittelt haben. Da Gott sich von Hund herleitet, wie im Griechischen Kyon, der Hund, ebenfalls zu Zion und Zeus wurde, und der Mensch die Schöpfung nach dem Ebenbilde Gottes erfuhr, ist seine Abstammung vom Hund wahrscheinlicher als diejenige vom Affen.” 
(Walter Papst, Der Götterbaum, Herbig Verlagsbuchhandlung, München,1994, S.23)
“1934 sucht der Himmelskundler O. S. Reuter am Nachthimmel den seltsamen Skaturnir, der ‘außerhalb aller Welten steht’ – also ein künstliches, technisches Weltraumobjekt? Das Wort verrät mehr. Es wird mit norwegisch mundartlich Skat und schwedisch Skate (Baumwipfel) zusammengebracht. Skat hat somit einen Bezug zum Baum, wie Skal einen Bezug zu Schale hat. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass der ‘Baumwipfler’ Skaturnir mit Schalendreher gleichgesetzt werden kann. Die Silbe Nir bedeutet eine Ausscheidung. Unser Wort Skat bezieht sich auf ein Spiel mit drei Spielern, so dass weiterhin spekuliert werden kann: Skaturnir besteht aus drei sich drehenden Teilen. Englisch three (drei) weist ebenfalls auf einen Baum (tree). Auffällig ist die Namensverwandtschaft mit Saturn. Halten wir fest: Der Weltenbaum hat vermutlich etwas mit drei, mit Schalen und mit drehen zu tun.” (S.96)
“Eine der wichtigsten Sprachwurzeln ist die sumerische Silbe An, die für ‘Himmel’ steht. Wir sagen heute noch an-kommen, ganz einfach, weil der erste sprachbegabte Mensch aus dem Himmel kam.” (S.110)
“An den Zweigen [des Weltenbaums] lebten Zwerge, passend zur Körpergröße der Frauen. An den Wurzeln die Riesen, entsprechend der Körpergröße der Männer. Die zierlichen Geschöpfe wurden mythologisch aus den Maden im Fleische des Ymir erschaffen. Deshalb also Mädchen …” (S.116)
"Eine andere Bestätigung der Innenwelt kommt von den Finnen, denen man eine gewisse Kompetenz in dieser Richtung nicht absprechen darf, da sie, bei Heranziehung des gleichlautenden Namens als `junge Bandwürmer´, aus dem Anus (also von innen = Finnen) kommen und andererseits als ehemaliges Volk des Elbenkönigs Finn ìm Fleische des Urriesen zuhause waren. Somit wird etymologisch über das Wort `Finnen´ ein Innenleben signalisiert, das mythologisch durch den Geburtsort der Elben (Maden im Fleische des Ymir) bestätigt wird. Was sagen Evolutionstheoretiker dazu?" (S.127)
„Der siebente Tag der Woche, der englisch Saturday heißt [nicht Sunday?!], ist dem jüdischen Sabbat gleichzusetzen. Die Silbe Sat steht in Beziehung zu sept und Sabbat. Sabbat wiederum schließt unser Verbum sabbern ein, das für `ausspucken´ steht. Sie Saat wird demnach von einem Saatdreher [Sat-turn] ausgespuckt. Das hieße für Astrophysiker: Die Materie der Saturnringe stammt aus dem Inneren des Himmelskörpers.“ (S.150)
Wer mehr dieser Etymologie verkraften kann, dem sei das Buch von W. Papst empfohlen. Wer glaubt, Innenarchitekten, die auf psychedelischen Drogen hängen geblieben sind, sollten besser keine Bücher schreiben, sondern in Therapie gehen, dem sei außerirdischer Wahnsinn in belletristisch verdaulicher Form empfohlen, z.B. von H.P. Lovecraft. Der läßt „sein“ wahnsinnigstes Buch der Welt, das Necronomicon, wenigstens ungeschrieben!
Und wenn das Ableben von Herrn Walter Papst nur ein Gerücht war und er dies hier während eines Skat-Turniers an seinem Laptop in der dritten Schalen-Innenwelt des Saturns liest, sollte er sich seine eigene „Etymologie“ zu Herzen nehmen, die soviel bedeutet wie: Wer vorne Walter Pa… heißt und hinten ...pst, der sollte am Ende besser schweigen. 


1 Kommentar:

  1. Alter Finne! Das klingt nach DEM Geschenkebuch für jemanden, den man loswerden möchte :oD

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