Thomas Piesbergen
Great Blue Hole
„Er ist mir gleich aufgefallen, wie ich hineinkomme. Und das lag nicht daran, daß er außer mir der einzige Gringo in der Cantina war. Er ist mir aufgefallen, weil er anders war. Du weißt ja, wie diese Typen aus den Staaten sonst aussehen, mit ihren Bermuda Shorts und den Sonnenbrillen ...
Mit einem Bleistiftstummel in der Rechten hockte er in einer Abseite nahe der Tür und studierte im schräg einfallenden Sonnenlicht den Belize Reporter. Sein Hemd fleckig vom Schweiß, das kurze blonde Haar wirr. Vor ihm stand ein Glas Wasser. Über seiner hageren Erscheinung lag etwas Irreales. Aber ich war ja wegen etwas ganz anderem gekommen und habe mich nicht weiter um ihn gekümmert.
Ich bin also rüber zur Bar und bestelle bei einem breit lächelnden Rasta das eiskalte Bier, von dem ich sechs lange Wochen geträumt hatte. Diese sechs verdammt langen Wochen in den Montes Maya. Der Kronkorken torkelte über den Tresen, und dann war mir erstmal alles andere egal und ich dachte nicht mehr daran: an die Hitze, den Dieselgestank, das plärrende Radio, die argwöhnischen Blicke, den Dschungel, die Schlangen, Spinnen, Ameisen, Mücken und Käfer, die Hängematte, den Durchfall. Vor allem nicht mehr an den Durchfall!
Dann stellt plötzlich jemand ein halbvolles Glas Wasser auf die Bar.
„Con permisso?“
„Por favor, tome asiento.“
Natürlich war er es. Mit krummen Schultern zog er einen schweren Hocker dicht neben den meinen und setzte sich. „Americano?“
„No, yo soy el aleman.“
Über sein nervöses Gesicht huschte ein Lächeln. „Ach… Sie erlauben, wenn ich sie so anspreche? Es ist schon etwas her, daß ich deutsch gesprochen habe.“
„Aber bitte! Mir geht es nicht anders. Sie sind Schweizer?“
„Ja? Klinge ich so?“ Er rieb sich das kräftige, unrasierte Kinn. „Manchmal vergißt man, daß man so einen Akzent hat. Bei dieser Hitze vergißt man ohnehin eine ganze Menge, nicht wahr?“
Ich hebe die Flasche und trinke ihm zu. „Hier an der Küste gibt es wenigstens etwas Wind. Darf ich sie einladen?“
Er winkt hastig ab. „Nein Danke, ich trinke nicht. Sie waren im Inland? Darf ich die Frage stellen, wo?“
Sein zuvor unsteter Blick bekam mit einem mal eine unangenehme Eindringlichkeit.
„In den Montes Maya. Auf einer Feldforschung.“
„Sie sind Biologe?“
„Nein, Archäologe.“
„Ah… das ist interessant, Archäologe also.“
Ich erwartete die übliche angestrengte und schnell wieder erlöschende Begeisterung, kennst du ja auch, doch sein Blick wendete sich nach Innen. „Das ist wirklich interessant. Sie sind also auf der Suche nach etwas, das nicht mehr da ist, von dem es nur noch Spuren gibt, die abgestorbenen Überbleibsel von etwas Lebendigem, kann man das so sagen?“
„Ja, so könnte man es nennen.“
„Sehen sie…“, er rückte noch etwas näher heran. In seinem strengen Atem mischten sich Kaffee und Nikotin. „Sehen sie, dann ist das, was sie tun ganz ähnlich dem, was ich tue. Ich suche ebenfalls etwas Lebendiges, von dem nur noch Spuren da sind.“
„So? Wonach suchen sie denn?“
Ich lehne mich also zurück und denke, jetzt kommt eine der üblichen Geschichten, wie man sie sich von all diesen psychedelischen Abenteurern anhören muß, die auf einem Pilztrip hängen geblieben sind.
Aber er zog einfach nur die Brauen hoch und schwieg. Dann huschten seine verschatteten Augen über die abgewandten Rücken der Trinker und blieben an einem Spiegel hinter dem Flaschenregal hängen. „Ich suche einen Menschen.“
Er hielt inne und kramte aus einer Tasche seines Anzug ein kleines Plastiketui hervor.
„Haben sie den Namen Urs Felber schon einmal gehört?“
Mit seinen ruhelosen Fingern zupfte er ein sorgfältig zusammengefaltetes Stück Papier aus der Hülle, strich es glatt und hielt es mir hin. Es war ein undeutliches Zeitungsfoto, das drei Männer auf einem Motorboot zeigte.
„Der da in der Mitte. Haben sie diesen Mann vielleicht irgendwo gesehen?“
Ich sah mir das Bild genauer an, doch das Gesicht des Mannes lag im Schatten.
„Nein, tut mir leid. Ist das Urs Felber? Haben sie kein besseres Foto?“
„Nein. Da gibt es kein besseres Foto, als nun mal dieses.“ Er rieb sich verärgert die Brauen. „Aber haben sie denn vielleicht seinen Namen nennen hören, da wo sie waren? Vielleicht ist er ja in den Urwald gegangen.“
Ich schüttelte den Kopf und bestellte ein zweites Bier. „Nein. In den letzten sechs Wochen habe ich nur Indigenos gesehen. Da, wo ich war, verirren sich nicht einmal die Mestizen hin. Aber warum suchen sie ihn denn.“
Er sah zu Boden und rang die Hände. „So. Sie haben nicht von ihm gehört.“
Dann richtete er seinen kantigen Oberkörper wieder ruckartig auf. Über seinen Augen lag ein seltsamer Glanz. „Wissen sie was Apnoetauchen ist?“
„Das Tauchen ohne Atemgerät, soweit ich weiß.“
„Ganz genau. Das freie Tauchen. Das einzig wirkliche Tauchen.“ Er steckte sich fahrig eine Zigarette zwischen die trockenen Lippen. „Und Urs Felber, sehen sie, war einer der besten Apnoetaucher der Welt.“
„Sie kannten ihn persönlich?“
„Oh, ja. Schon so lange… ich weiß gar nicht mehr wie lange. Es mag sogar sein, noch aus der Schweiz.“
„Und was hat es mit diesem Urs Felber auf sich?“
Ich spüre inzwischen, wie mir das erste Bier zu Kopf steigt. Dankbar greife ich also nach der zweiten Flasche, lehne mich auf die Bar und denke nur, laß ihn doch reden.
Fahrig reisst er sich ein Streichholz an, hält es an die Zigarette und saugt den Rauch gierig ein. „Wie gesagt, er war einer der Besten. Er stand kurz davor, den Rekord für das Tauchen mit konstantem Gewicht ohne Flossen zu brechen. Das ist die Königsdisziplin, wissen sie? Tief hinunter geht es, ohne Seil, ohne Flossen. Nur der Mensch, verstehen sie? Ganz allein geht er hinab, allein in seinem Körper, mit einem Atemzug. Das ist wie allein sein mit der Schöpfung. Wie im Mutterleib sein, wie ganz allein mitten im Weltall.“
„Sie tauchen selbst?“
„Ich? Nein, woher denn?“ Er lachte ein bitteres, kleines Lachen und fuhr mit der Zigarette durch die Luft. „Ich kann nicht einmal schwimmen. Nein. Erzählt hat er es mir wohl.“
Er atmete tief durch und drückte die Zigarette plötzlich mit einer überraschenden Heftigkeit aus. „Zuerst hat er viel getaucht in Griechenland, Kalamata, Spetses, San Torin, zu der Zeit als er noch in der Schweiz gelebt hat, als er noch nicht professionell war. Dort war es auch, daß er das Apnoetauchen kennengelernt hat; daß er es zum ersten mal probiert hat, zwanzig, dreißig Meter hinab zu gehen, ohne Flaschen. Kennen sie das, wenn man weiß, am richtigen Ort zu sein? Wenn es keine Unklarheiten mehr gibt? So war das damals bei ihm. Es gab keine Unklarheiten mehr. Kein Alternative. Zuerst ging es noch nicht so sehr um die Tiefe, doch sie war immer da, immer da unten, wartete auf ihn, wie ein Himmel in den man hinein stürzen kann. Und dann ging es hinab. Immer tiefer. Keine größere Einsamkeit gibt es, als da unten. Kein Ort, an dem der Mensch so sehr, so ganz und gar auf sich selbst zurückgeworfen wird. Bald hatte er die Tiefe von Mayol erreicht, doch da hatten andere schon die Rekorde gebrochen und neue Limits gesetzt. Doch er wollte der einzige dort unten sein, tiefer als alle anderen. Ihm sollte die Tiefe gehören. Er wollte bis zum Grund kommen. Alles andere war schal geworden, bedeutungslos, nichtig. Darum kam er hierher.“
Seine Stimme hatte sich fast zu einem Flüstern abgesenkt. Er sah mich an wie im Fieber, die Knie fest umklammert. „Wissen sie was ein Blue Hole ist?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Das ist eine unterseeische Doline, eine Höhle, deren Decke eingestürzt ist. Vor der Küste, im Lighthouse Riff ist so eine Doline. Das Great Blue Hole. Eine gewaltiger Abgrund, eine Tropfsteinhöhle inmitten der Korallen. Es ist nicht nur eine Senke irgendwo nahe der Küste oder irgendein Loch mit Regenwasser gefüllt. Nein, weit draußen im Meer liegt es. Als Kind hatte er gesehen, wie Jaques Coustau dort getaucht ist, wie er einen 3 Meter langen Stalaktiten dort geborgen hat. Einhundertfünfundzwanzig Meter tief ist es. Kein Mensch ist je ohne Hilfsmittel tiefer als Einhundertundeinen Meter getaucht. Doch er wollte auf den Grund. Trubridge und Nitsch haben ihr Dean´s Blue Hole auf den Bahamas. Aber er wollte das Great Blue Hole. Das sollte der Ort seines Triumphes sein. Felbers Blue Hole sollte es sein. Bei den Fischen dort unten wollte er sein, ganz allein. Im Schoß der Mutter. Am Grund.“
Er verstummte. Sein Blick war leer, als wäre er selbst in die Tiefe hinabgesunken.
„Und was ist dann geschehen?“
Er starrte mich an, als hätte er mich schon wider vergessen. „Dann? Er ist nicht mehr aufgetaucht.“
Verwirrt setze ich das Bier ab. „Sie sagten doch, sie seien auf der Suche nach ihm. Aber wenn er ertrunken ist…“
Nun flammten seine Augen wieder auf. „Niemand hat gesagt, daß er ertrunken ist. Niemand hat seinen Körper gefunden. Nur daß er nicht aufgetaucht ist, habe ich gesagt! Jemand wie Urs Felber ertrinkt nicht. Eher sind ihm Kiemen gewachsen! Er hat es sogar geschafft das Blue Hole bei Dahab am Roten Meer zu durchtauchen, die Kathedrale. Dort sterben sie selbst mit Pressluft wie die Fliegen! Aber er tauchte hindurch wie ein Fisch! Und dann soll er ausgerechnet hier ertrunken sein? Das ist absurd. Wissen sie, da gibt es Höhlen im Great Blue Hole, weitläufige Höhlen. Vielleicht hat er einen Weg gefunden. Vielleicht hat er sie alle zum Narren gehalten, verstehen sie? Deshalb suche ich ihn! Ich muß doch wissen, ob er es geschafft hat, ob er den Grund erreicht hat und was dort gewesen ist. Sie müssen das doch wissen, wie es gewesen ist mit den Maya und den Höhlen. Da gibt es doch diese Höhlen, mit den Bestattungen. Vielleicht hat er ja einen Weg gefunden, eine Passage…“
„Aber das Lighthouse Riff liegt doch wenigstens fünfzig Kilometer vor der Küste. Wie soll er denn zurück an Land gekommen sein? Ich halte das für ausgeschlossen. Und die Maya…“
„Hier, schauen sie sich das Bild an. Bitte!“
Die Falten und Schatten in seinem Gesicht arbeiteten, als zöge eine grobe Hand sie mit dem Messer nach. Er hält mir den Zeitungsausschnitt noch einmal hin, dann legt er ihn langsam und mit großer Sorgfalt wieder zusammen und verwahrt ihn in dem Plastiketui.
„Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte sie nicht bedrängen. Glauben sie nicht, ich hätte ihre Einwände nicht schon vorher gehört. Es ist ja auch ganz vernünftig so zu denken. Aber so kann es schlußendlich nicht gewesen sein.“
Mit einem mal tat er mir leid. Vielleicht war ich auch nur angetrunken, aber ich stellte mir dieses Elend vor, in dem er leben mußte, seine Unfähigkeit, den Tod seines Freundes zu akzeptieren, diesen Schmerz. „Sicher haben sich doch die Behörden auf die Suche gemacht.“
Er winkt ab und lächelt gequält. „Ach, die Behörden. Die Küstenwache von Belize ist nicht die Alpine Rettung vom Berner Oberland. Die haben keinen langen Atem.“
Der Rasta hinter der Bar setzte mir ungefragt ein drittes Bier vor. Ich war erleichtert, schweigen zu können, und trank.
Er strich sich über das kurze Haar, nahm die zerlesene Zeitung zur Hand, legt sie wieder zurück. Aus seinem Gesicht war alle Wildheit gewichen.
„Und wie lange suchen sie ihren Freund schon?“
„Ach, das ist schon eine Weile. Bei dieser Hitze fällt es manchmal schwer, die Tage auseinander zu halten. Aber ich möchte sie nun nicht weiter belästigen.“
„Warten sie, ich breche ebenfalls auf. Es tut mir leid, daß ich ihnen nicht helfen konnte.“
Er nickte ergeben, nahm die Zeitung und klappte seinen hageren Körper auf, wie ein Taschenmesser. Mit einem letzten großen Schluck leerte ich die Flasche. Wir zahlten und traten hinaus auf die Straße. Die Hitze trieb mir das Bier in den Kopf.
„Sie gehen in ihr Hotel?“
Ich nickte.
„Dann wünsche ich ihnen ein gute Retour nach Deutschland.“
„Und ihnen wünsche ich noch viel Glück auf ihrer Suche.“
Er lächelte als wolle er einen Zahnschmerz überspielen.
Auf einmal blitzt es und ein junger Bursche redet auf uns ein.
„Your fotografia, signores 4 Belize Dollars, 2 US Dollars, por favor.“
Und dann… Du hättest ihn sehen sollen, auf einmal war dieser Kerl wie verwandelt. Die Augen treten ihm aus den Höhlen, sein Kopf wird krebsrot und er ballt die zitternden Fäuste. „Was erlaubst du dir, so einfach ein Foto zu machen? Sofort gibst du den Apparat her!“
Der junge Bursche mit der Polaroidkamera wurde grau vor Schreck, dann stürzte er davon, und der Schweizer wie der Teufel hinter ihm her. Bevor ich ihm etwas nachrufen konnte, waren sie um die nächste Häuserecke verschwunden. Ich machte drei Schritte auf die Straße, doch meine Beine wollten nicht mehr. Das Bier und die Hitze hatten mir den Rest gegeben. Aber gerade als ich mich in Richtung Hotel umwenden will, sehe ich ein kleines, weißes Quadrat im Straßenstaub liegen. Es war das herabgefallene Polaroid. Ich nahm es auf, wartete, bis die Farben aus der blinden Fläche empor getaucht waren, dann habe ich es einsteckt bin zurück zum Hotel.“
Mark schenkt uns Mescal nach. „Armer Spinner. Aber von der Sorte laufen hier mehr rum, als man glauben will.“
Mit dem Glas in der Hand deutet er über die Lichterschnüre am Saum des dunklen Meeres hinweg. „Das Lighthouse Riff liegt etwa in der Richtung.“
Ich nicke und lege die Fotografie, die ich die ganze Zeit in der Hand gewendet habe, zwischen uns. Noch immer scheint die Luft direkt aus einem Backofen zu strömen und der Beton des Hoteldachs atmet die aufgespeicherte Glut des Tages aus. Von irgendwoher kommt Musik, der blecherne Aufruhr eines Fernsehers, die Rufe eines Tamales-Händler, fernes Feuerwerk aus einem Touristenresort. Die Flammen der Petroleumfackeln legen sich träge über die Dochte.
Mark hebt das Glas. „Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, daß wir irgendwann hier sitzen.“
Wir trinken.
„Aber ob ich mich an diese Hitze gewöhnen kann...“ Ich knöpfe mein Hemd auf und fächele mir mit dem Kragen Luft zu. Ich spüre seinen fragenden Blick. Es wird Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen. „Man hat mir übrigens eine Forschungsstelle angeboten.“
„Wirklich? Das ist ja großartig! Komm, darauf müssen wir sofort noch einen trinken!“
Der ölige Mescal gluckert in die kleinen Gläser. Wie habe ich die Fähigkeit von Mark vemisst, sich aufrichtig für andere freuen zu können!
„Aber ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann. Die sechs Wochen in den Bergen waren schon hart an der Grenze.“
„Aber du wirst es trotzdem tun, oder?“
Ich trinke und nicke in die Dunkelheit hinaus. „Ja. Natürlich. Wenn man einmal weiß, wie sich das anfühlt, im Feld zu sein, kann man gar nicht mehr anders. Ich frage mich nur, ob ich den Winter vermissen werde. Und läuft bei Dir auch alles gut?“
„Es ist schon mühsam, wie immer. Man muß halt ständig improvisieren, aber trotzdem würde ich nie etwas anderes tun wollen. Es fühlt sich einfach richtig an.“
„Keine Unklarheiten, was?“
Er lacht. „Nein, keine Unklarheiten.“
„Und keine Alternative.“, höre ich meine Stimme sagen, die mit einem mal seltsam fremd klingt. Mein Blick wandert hinaus zum schwarzen Flimmern des Horizonts. „Du tauchst doch auch manchmal. Kannst du denn diesen Urs Felber?“
„Ja, natürlich. Ich war damals mit einem Freund auf seinem Boot draußen, als Felber den Weltrekord brechen wollte, drüben am Great Blue Hole.“
„Wie lange ist das her?“
„Vielleicht drei oder vier Jahre.“
Ich atme hörbar aus. „Das ist lang… Und hat man seinen Körper denn wirklich nicht mehr gefunden?“
Mark sieht mich irritiert an. „Wie meinst Du das?“
„Nun ja, er ist doch nicht wieder hoch gekommen. Ist er irgendwo hängen geblieben oder gibt es dort Haie?“
„Nein, nein, das hat sich dieser Spinner einfach so zurecht gelegt. Felber ist nicht verunglückt.“
Ich spüre, wie sich etwas in mir querlegt, eine Dissonanz im warmen Vielklang der Nacht. „Er ist nicht verunglückt? Aber was ist dann mit ihm passiert?“
„Es war Presse da, und natürlich die üblichen Schaulustigen, an die dreißig Boote. Eigentlich hat niemand daran gezweifelt, daß er es schafft. Dann ist er runter gegangen. Ich erinnere mich noch gut an die seltsame Stille, die über dem Wasser gelegen hat. Aber mit einem mal kam er wie ein Korken zurück an die Oberfläche geschossen.“
„Er hat den Versuch abgebrochen? Aber warum?“
„Ein Freund von mir, der für die Belize Times arbeitet, wollte ihn damals interviewen, aber Felber hat sich geweigert und ihm und den anderen Reportern Schläge angedroht. Soweit ich weiß, hat er keinen zweiten Versuch unternommen. Nicht hier und auch nirgendwo anders. Er hat sich aus der Szene der Apnoetaucher völlig zurückgezogen. Keine Ahnung, wo er jetzt ist. Offenbar hatte er eine Panikattacke. Das kann passieren.“
Ich schüttele den Kopf und lache auf. „Dann muß dieser Kerl verrückter gewesen sein, als ich dachte. Ich habe ihm wirklich geglaubt, das Blue Hole hat diesen Felber verschluckt“
Mark nimmt das Polaroid, das noch immer zwischen uns liegt. „Vielleicht hat es das - im metaphorischen Sinn.“
Ich schüttele erneut den Kopf und schenkte mir nach. „Es laufen so viele Spinner herum.“
Auf der Straße unter uns fährt ein Transporter vorbei, eine bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Stimme tönt aus seinen Lautsprechern. Es dauerte ein ganze Weile, bis der Lärm wieder mit den weichen Stadtgeräuschen versinkt.
„Wolltest du mich testen?“
Die Frage steht unvermittelt kühl zwischen uns.
„Was meinst Du damit?“
„Wo hast Du ihn gefunden?“
Mark sieht mich einen Moment an, dann erkennt er meine Verwirrung, nimmt das Bild zur Hand und deutet auf den hageren Schweizer.
„Du weißt wirklich nicht, wer das ist, oder?“
Er atmet tief durch, bevor er weiter spricht; und dann, mit jedem weiteren Wort, schließt sich die Hitze der Nacht dichter um mich und droht mich zu ersticken. „Dieser Mann auf dem Bild, dieser Mann den du getroffen hast, ist Urs Felber.“
Hamburg, November 2012 / 2015
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