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Mittwoch, 23. April 2014

Texte der Lesung "Zweimal im Leben": Silke Tobeler - Hadithas Liste

Ich wickle den leblosen Körper in prächtige Saris und bringe ihn in den Dschungel. Ihr Leben soll nicht umsonst gewesen sein, nach allem was passiert ist: Ich nutze ihre fleischlichen Ressourcen: Haare, Zähne, Blut, um meine ayurvedischen Heilmittel zu bereichern. Jeder soll einen Teil von Haditha in sich aufnehmen. Jeder soll das Leben in sich einverleiben, das mir heilig ist.

Was davor geschah will ich dem Leser berichten, der furchtlos dem Abgrund einer Seele ins Angesicht blicken kann:

Als die Welle auf mich zurollte, war mein Leben schon völlig gegen die Wand gefahren. Ich hatte jeden, den ich liebte, oder nicht liebte, belogen. Betrogen. Mutter. Bruder Vicente. Dschamal. Haditha. Alle hatten an mich, meine Freundlichkeit, Intelligenz und Gottesfürchtigkeit geglaubt. Keiner hatte mehr an die Momente gedacht, als ich den Fröschen im Tümpel einen Strohhalm in den Hintern steckte und so lange reinblies, bis sie zerplatzten. Und hatte irgendjemand mitbekommen, dass ich es war, der sich regelmäßig hinter den Altären für die Ahnen erleichterte? Madame Wong war jedesmal entsetzt, wenn Sie hinter den Opfergaben für ihren Großvater die Häufchen entdeckte. Mehr als einmal trat sie die Dorfhunde, um sie für ihre Respektlosigkeit zu bestrafen. Fast hätte mich Dschamal erwischt, als ich das Schweinefleisch aus unserer Missionsschule in den Alutöpfen in sein Haus schmuggelte, um es in das Lammcurry zu rühren. Ich muss sagen, es hat mich mit unbändiger, fast orgiastischer Freude erfüllt, als ich sah, wie Dschamals Familie, die Mohammeds, ihre Schüsseln mit den letzten Brotkrumen auskratzten, sich jeden einzelnen Finger ableckten, um mehr von dem köstlichen, ihnen verbotenen Fleischsud, genießen zu können.
Die ahnungslose Zuneigung, die unsere Dorfgemeinschaft mir entgegenbrachte, stachelte mich immer mehr zu den unterschiedlichsten Boshaftigkeiten an. Es war wie das Hase und Igel-Spiel, ein regelrechter Sport: Wie weit konnte ich es treiben, bis irgendeine Schändung meinerseits ans Tageslicht kam?

Ich war ein guter Schüler und unsere Missionare waren sehr zufrieden mit dem Messdiener in unschuldiger weisser Spitze. Ich war der lebende Beweis für sie, dass ihre Arbeit im Weinstock Gottes nicht vergebens war, inmitten der tamilischen Üppigkeit Sri Lankas. Unser Land war es gewohnt, die unterschiedlichen Denkweisen und Traditionen nebeneinander bestehen zu lassen. Ob man als konfuzianisch-buddhistisch geprägter Chinese seine Ahnen verehrt, als Muslim die fünf Gebete am Tag verrichtet oder als Hindu  den Tempel besucht, alles hatte seinen Platz und nichts musste sich ändern. Bruder Vicente hatte sich schon lange damit arrangiert, dass seine Missionsschule geduldet und wegen der Bildung auch besucht wurde, aber das kaum einer der Dorfbewohner sich taufen liess. Lediglich ich, Vikram Kumar, der ich gottesfürchtig den Messwein in die Monstranz zurückkippte und jede Hostie in unbeobachteten Momenten ableckte, bevor der Priester sie an seine Gemeinde verteilte, nahm den Glauben der ehemaligen Kolonialherren an und ein paar verstreute treue Dörfler, denen die Kirche eine Zufluchtsstelle bot.

Und nun Wasser, Unmengen an Wasser in einer Wucht um uns alle herum. Ich hatte mich auf die Turmspitze unseres katholischen Gemeindehauses gerettet. Hockte oben, festumklammernd den Wetterhahn unter dem Kreuz, der einst unseren schwachen Apostel Petrus verriet. Es hatte mich keiner entdeckt und so sah ich mit Entsetzen die Flutmassen des Meeres, die in ihrer Gischt alles verschlangen, was auf dem Boden lebte. Palmen wurden umgerissen, das Fischerboot von Master Mohammed tänzelte auf einer Welle, um dann mit voller Wucht von der nächsten Brandung zerschlagen zu werden. Hühnerköpfe schnappten neben der prustenden Madame Wong in den Fluten nach Luft. Suchten Halt auf einem Boden, der unter ihren Füßen einfach nicht mehr zu finden war.
Es kam ohne Warnung. Ein leises Grollen vor einer Stunde und nun – alles zerstört im Brausen des Meeres. Ich kauerte auf dem Dachfirst und sah Haditha vor mir, die schöne stolze Haditha. Schwarzes, glänzendes Haar, das in langen Kaskaden auf ihre Hüften fiel. Haditha, ein Mund zu prallen Kirschen geformt und mit einer Haut, die sich wie samtener Pfirsichflaum anfühlen musste. Haditha, die glockenklar lachte und um ihre schlanken Finger eine Haarsträhne zwirbelte. Haditha, die viel von Zahlen verstand und die Bücher unserer Wohltätigkeitsorganisation prüfte.

Ich war es inzwischen, der die Organisation unserer Fatima-Kirche alleine leitete. Ich sorgte dafür, dass einmal in der Woche eine Armenspeisung im Innenhof des Gemeindehauses stattfand. Ich sammelte die Kleiderspenden ein und verteilte sie, an die Orte im Dorf, wo die Familien zwischen Ratten und Fäkalien schliefen.
Ich war DIE rechte Hand von Bruder Vicente, der mich achtete wie seinen eigenen Sohn. Er hatte meine verwitwete Mutter mit meinem kleinen Bruder aus den Bretterverschlägen des Dorfes geholt und eine Wohnung im Gemeindehaus zur Verfügung gestellt. Aus Dankbarkeit für die Dienste des kleinen Vikram, der sich artig bekreuzigte, den Rosenkranz durch die Hände zog und das Kreuz küsste.

Dieses Kreuz war jetzt mein wahrhaftiger, sinnbildlicher Anker der mich vor der Sturmflut rettete, die zu meinen Füßen tobte. Und dennoch betete ich nicht. Ich war vielmehr erleichtert und das erste Mal in meinem Leben wirklich dankbar, weil ich sah, wie das teuflische Wasser die Spur meiner Sünden wegwusch. Meine schmutzige Lebensgeschichte reinigte. Mich wieder zu einem weissen Blatt machte, das neu beschrieben werden konnte. Zwischen dem Tosen der Wellen hörte ich Schreie, ich sah Kühe, die durch die Fluten geworfen wurden und Blitze auf der Wasseroberfläche zucken. Ein Adidasturnschuh, der an der Zehenspitze ein Loch hatte, schwamm an mir vorbei. Dschamal, war so stolz auf diese Adidasschuhe, die ich ihm von der Kleiderspende aus Europa abgezwackt hatte.

Vikram, Bruder! Wie soll ich Dir danken?

Da sie nicht passten, musste er ein Loch in die Zehenspitzen schneiden, aber das störte Dschamal nicht, wenn er die weissen Streifen an der Seite des Turnschuhs streichelte.
Herrenlos wirbelte der Schuh in einem Strudel und wurde dann in die schwarzen Untiefen des Wassers hinabgezogen.
Der Sturm peitschte und pfiff über die Wasseroberfläche. Er wirbelte die in den Fluten herumtreibenden Dachpappen wie  Kinderkreisel in einer beängstigenden Geschwindigkeit umher. Alles war schwarz um mich herum, nur die Blitze erhellten ab und zu die tobenden Wassermassen zu meinen Füßen. Ich schloss die Augen.

Hadithas forschender, geradezu skeptischer Blick schien auf den Abgrund meiner Seele herabzusehen.

Das sind aber wirklich viele Gasflaschen, die Du innerhalb eines Monats verbraucht hast...
Haditha pochte mit dem Stift auf das Zahlenblatt, das vor ihr lag.
Dies war der Beginn unserer ermüdenden Sitzungen, in denen die frischgebackene Kirchenbuchhalterin eine Bilanz unserer Gemeinde erarbeitete.

Es war Ostern, erwiderte ich - und wir haben ein Festmahl nach dem anderen für die Ärmsten der Armen gekocht. Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!

Also, meine Familie kommt drei Monate mit einer Flasche aus – Haditha wippte genervt auf ihrem Stuhl auf und ab, nahm den himmelblauen Schal ihres Punjabi Suits und schlang ihn beinahe ärgerlich um ihren feinen karamellbraunen Hals  -
Und ich habe neben meinen zwei Schwestern und drei Brüdern noch eine Verwandtschaft von neun Tanten, sieben Onkels, über zwanzig Cousins und Cousinen, die alle samstagabends zum Essen vorbeikommen...

Ach Haditha, seufzte ich. Halt Dich doch nicht an der Anzahl Gasflaschen auf.
Ich ließ meine langen Wimpern klimpern, das hatte seit meiner Geburt bei allen Frauen funktioniert. Aber an der schönen Tamilin prallte mein Charme ab, wie die Roti von der gefetteten Pfanne. Hadithas Augen, schwarze Seen, in denen Madraspfeffer auffunkte - die Augenbrauen zu einem strengen Strich verbunden.
Natürlich hatte ich nicht so viele Gasflaschen für das Curry der Armenspeisung verbraucht. Ich hatte sie, wie immer in meinem Vorratsschuppen gelagert, zu dem nur ich den Schlüssel hatte. Alle paar Monate hatte ich so viele zusammen, dass sich eine Fuhre nach Wadduwa in das ayurvedische Resort lohnte. Frau Behlheim fragte nie nach den Preisen, sondern winkte mich immer nach meiner Ankunft und dem Verladen der Flaschen in ihr Behandlungszimmer, wo ich ihr bei ihren ayurvedischen Experimenten mit vollem Körpereinsatz zu Diensten stand. Nicht nur Gasflaschen konnte ich dort gewinnbringend an den Mann bringen, auch Currymischungen aus Ahangama und Öle, die ich den Veddas aus den Dschungeln abkaufte und die Frau Behlheim lauwarm und gewinnbringend auf die weissen Stirnen ihrer Urlauber gießen ließ. Hier war ich nicht Vikram aus dem Fischerdorf im Distrikt Kalutara, Versorger der katholischen Gemeinde, sondern Ashok, der Hindu, der stolze Händler mit besten Beziehungen zu allen heimischen Produkten, die hier im Resort wie Heiligtümer verehrt wurden. Tee aus Nuwara Eliya (es war der billige Import aus Madame Wongs Krämerladen), Chilli, Zimt und Kurkuma.
Niemandem im Dorf fielen die großen Mengen meiner Einkäufe auf. Bis die schlaue Haditha sich anbot unsere Kassenbücher zu prüfen. Ich wusste gar nicht, dass Bruder Vicente einen Überprüfungsbedarf unseres  Haushaltbudgets für nötig erachtete. Ich dachte immer, dass wir uns blind vertrauen würden. An welchem Punkt hast Du es zu bunt getrieben, Vikram? fragte mich meine innere Stimme. Aber gleichzeitig war ich dankbar, als Haditha vor mir stand, eine lose fallende Haarsträhne aus ihrem Gesicht strich und hinter ihre wachsamen, großen Ohren steckte.

Mir wurde inzwischen sehr kalt auf dem Kirchturm. Auch das Loch in meinem leeren Magen fing an zu knurren und nahm es mit der tosenden Geräuschkulisse um mich herum auf. Wieviele Minuten oder Stunden habe ich hier oben schon verbracht? Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich musste hier fort, das Geschenk irgendeines Gottes annehmen, der mein Leben für so würdig erachtete, dass ich nicht mit den anderen Brüdern, Schwestern, Freunden und Liebsten Wasser und Erde schlucken musste und auf den Meeresboden gezogen wurde. Ja, schrie ich gegen die Wellen an – ich habe es verstanden! Ich werde mein Leben ändern, ein anderer sein. Und Gott, wenn es Dich gibt, dann schicke mir Deine himmlischen Heerscharen und hol mich vom Turm!
Blitze zuckten. Donner grollte. Im aufflackernden Licht sah ich einen Baobab-Ast neben mir schwimmen. Der Baobab, der schon einst Meister Buddha hier auf Sri Lanka das Leben rettete. Ich lockerte meine Umklammerung auf der Kirchturmspitze und ließ mich von den Fluten ergreifen. Wasser gischtete und peitschte in mein Gesicht. Die salzige Brühe drang in meine Ohren, meine Nase und in meinen Mund. Ich spuckte, hustete, schluckte, rang nach Atem. Als ich die Augen öffnete, sah ich den Ast direkt zum Greifen nah vor mir und streckte meine Hand nach ihm aus. Ich erwartete eine glitschige, glatte Oberfläche und hielt verwundert ein zerrissenes Stück Stoff in meiner Hand. Ich erkannte die himmelblaue Seide von Hadithas Punjabi Suit.
Haditha, die mich herausforderte. Haditha, die mich durchschaute. Haditha, die nicht vor mir zurückschreckte, obwohl sie wusste, was ich tat. Sie konnte mir standhalten. Aber ich? Konnte ich ihrem sambalscharfem Urteil standhalten?
In diesem Moment starb Vikram und Ashok nahm Besitz von meinem Körper ein.
Ashok, der Heiler. Ashok, der Geschäftsmann mit weisser Weste. Es war so einfach. Tropfnass fragte mich niemand nach der geschehenen Katastrophe nach Papieren. Es ging eh alles im Chaos unter. Und die auf dem Festland waren froh, dass sie keinen Teufelswellen ausgesetzt gewesen waren.

Und als Ashok begann ich meine neues Leben: Ich war der fliegende Händler erlesener Öle und heilender Salben.
Ich wurde von Resort zu Resort weiterempfohlen. Stets lud ich meinen Landrover mit Kisten und Kästen voller zauberhafter Preziosen voll, um weisse Männer und Frauen in ihrer yoganitischen Sinnsuche zu versorgen. Die Erinnerungen an die schrecklichen Stunden auf dem Kirchturm suchten mich nur in meinen Träumen heim.
Es müssen ca. 3 Monate vergangen sein. Ich ging meiner alchimistischen Begabung nach und zerstiess die grünen Kardamomkapseln in meinem Steinmörser zu feinem Staub. Der anisartige Duft erfüllte meine kleines Labor, oder die „Hexenküche“, die ich gerade brandneu erworben hatte. Ja, als Glückskind hatte ich es in der kurzen Zeit zu so viel Reichtum gebracht, dass ich mir in dem Städtchen Sri Jayawardenepura in der Westprovinz eine Praxis einrichten konnte. Ich vermengte das feine Kardamompulver mit etwas Ghee. Ich sah meine Kunden vor mir, die das heilende Fett in ihren Woks für ihre veganen Speisen erhitzen, als mich der Ruf meines neuen Namens: Ashok! Jäh aus meinen Tagträumereien riss.
Hadithas Stimme war geradezu klanglos aber unverkennbar, der Hauch des Spottes liess die Worte knistern wie gezündeltes Papier.
Ashok... So lässt Du Dich nennen?
Ihr Körper bebte vor Wut. Wie dünn sie geworden war. Und die Strenge ihrer Augenbrauen hatten sich zu einem verbitterten Strich in ihr einst so frisches Gesicht gemeißelt. Die sinnlichen, prallen Lippen waren zu trockenen Schründen geworden.
Ich breitete die Arme aus: Haditha! Gepriesen sei der Herr – Du lebst!
Wortlos zog meine Jugendliebe einen schwarzen Ordner aus ihrem Rucksack und schlug ihn auf.
Ihre tonarme Stimme vermochte trotzdem durch die Luft zu schneiden wie ein Schwert:
HABEN: 9.245 Rupien für 89 Gasflaschen. 2.153.846 Rupien für Mme Wongs Krämerladen, 76.923 Rupien für Master Mohammeds Fischerboot, 2.369.230  Rupien für die Fatima-Kirche...
Haditha – ich versuchte meine Hand auf ihre Schulter zu legen, die sie wie ein lästiges Insekt geradezu ruppig wegfegte, nur um mit ihrem Zahlenmonolog fortzufahren:
HABEN: 1.153.846 Rupien für das Fatima-Gemeindehaus, 2.353.846 Rupien für Coffeeshop und Bar, 1.076.923 Rupien für die Schule und 1.384.615 Rupien für die Arztpraxis.
Unsere Gemeindebuchhalterin holte kurz Luft und ich wollte den Moment nutzen, um diesem Zahlensalat ein Ende zu machen: Had...
Nun wird es schwierig, fuhr sie unbeirrt fort. Wie berechnet man ein Menschenleben? Laut aktueller Rechnungen liegt der reine Organwert bei einer Summe zwischen 2000 und 4000 EURO, also nehmen wir den Mittelwert von 3000 EURO, in Rupien macht das ca. 461.538 Rupien. Das macht für die Familie Chatternee bei fünf Personen ein HABEN von: 2.307.692 Rupien, Familie Chimoy, sieben Personen: 3.230.769 Rupien, Bruder Vicente: 461.538 Rupien, dasselbe für Schwester Agnes, Mme Wong und Deine Mutter Vikram...
Ich verstand das alles nicht, aber jedes einzelne Wort fühlte sich wie rohe Chilischoten in meinen Augen an und Tränen liefen mir unaufhaltsam übers Gesicht. Hadithas Stimme wurde fester und gewann sogar an Kraft:
Familie Mohammad – wusstest Du dass sie mit Dschamals Großmutter insgesamt acht waren? Ergeben eine Summe von 3.692.307 Rupien.
Hadita, schluchzte ich – was soll das? Was rechnest Du da?
Ohhhh – Du dachtest Du kannst uns so klammheimlich entkommen – ASHOK? Was hast Du nach dem Tsunami gemacht? Hier kommt das ungedeckte SOLL, Du Gemeindediakon, der Du uns Elenden hättest helfen können: SOLL: Schlamm schippen, bei einem Tagessatz von 150 Rupien, bei einem Einsatz von zwei Wochen = 315.000 Rupien. Hast Du nicht erbracht, da liegen wir bei NULL!
SOLL: Körper ausgraben, Säuglingen in den leblosen Armen ihrer Mütter die Augen schliessen? Ebenso Tagessatz plus emotionale Entschädigung von 50 Rupien = 200 Rupien, ca. acht Tage, dann haben wir keine Leichen mehr gesucht, macht 1.600 Rupien. Hast Du nicht gemacht, da liegen wir wieder bei NULL.
SOLL: Leichen identifizieren? Da könnte man dasselbe wie eben veranschlagen, 1.600 Rupien. Hast Du nicht gemacht, da liegen wir wieder mal bei NULL.
WO WARST DU VIKRAM???
Hadithas ausgemergelter Körper war gespannt wie die Ledersehne eines Bogens, in den ihr Zorn einen vernichtenden Pfeil justierte und sie schlang ihren Schal fester um sich.
Aber es warst nicht nur Du, der sich aus dem Staub gemacht und uns mit den Trümmern alleingelassen hatte. Nein, nicht nur Du. Haditha lächelte...bitter...
Ich habe noch vier andere Feiglinge ausgemacht, ist egal wer, damit habe ich die Summe von Zehnbillionenachthundertneununddreissigmilliardenneunhundertmillionenundneunhundertneununddreissigtausend Rupien aufgeteilt auf fünf. Das macht Deinen Anteil von 21.678.780 Rupien den Du uns und unserem Dorf schuldest Vikram oder soll ich sagen Ashok?
Haditha, Haditha... schluchzte ich, das ist alles so entsetzlich, ich konnte...musste...
Hadithas Augen waren mit grüner Verachtung gefüllt. Grün, wie die Farbe der Teeblätter, bevor sie dem schwärzenden Fermentierungsprozess anheim gegeben werden.

Ich rief nach Insolvenz: Ich habe so gut wie nichts Haditha, und sollte ich noch etwas finden – es soll alles Dein sein!
Du glaubst, dass Du Deine Schuld bezahlen kannst, wie einen Ablassbrief? Dass Du Deine Hände in ayurvedisch gesegnetem Öl reinwaschen kannst?
Was willst Du Haditha? Wimmerte ich...Was?
Haditha glühte vor mir wie der Erzengel Gabriel mit flammenden Schwert – sie holte tief Luft und übergoss sich plötzlich mit einer schrecklichen Flüssigkeit.
Was machst Du da? HADITHA? Schrie ich.
Nun sieh Bruder, ob Du noch irgendwo Wasser findest, dass uns retten kann! rief Haditha und zündete die Liste an, die sie wie einen Fächer sich entgegenwedelte.
Mir grauste, als ich sie in Flammen vor mir glühen sah, wie eine hinduistische Witwe.
Aber selbst all meine Stoffe, all meine Decken konnten meine schöne Haditha nicht retten.

Ich wickle den leblosen Körper meiner Braut in prächtige Saris und bringe sie in den Dschungel.

Lektorat: Thomas Piesbergen


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